Trotz des Ticket-Streits werden einige Fans von Eintracht Frankfurt in Neapel erwartet. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Arne Dedert/dpa)

Wo normalerweise Tausende Fans für Stimmung gesorgt hätten, war es diesmal ruhig. Fast nichts deutete am Frankfurter Flughafen auf das bevorstehende Auswärtsspiel der Eintracht und ihrer reisefreudigen Fans bei der SSC Neapel hin.

Sechs Charterflieger hatten die Frankfurter gecancelt – und auch in der Sonne Süditaliens flanierten keine Fangruppen mit Eintracht-Trikots umher: Vor dem vom beispiellosen Ticket-Streit überlagerten Champions-League-Achtelfinale an diesem Mittwoch ist von Europacup-Atmosphäre nichts zu spüren. Ein Einzelfall oder ist das die Zukunft von Champions League, Europa League und Co.? Nicht nur Eintracht-Fans sorgen sich um europäische Fußball-Festtage generell.

«Das gefährdet die ganze europäische Auswärtsfahr-Kultur, wenn es so einfach möglich ist, Gästefans auszuschließen», sagte Dario Minden von der Frankfurter Fanabteilung, der sich auch in der Interessenvertretung «Unsere Kurve» engagiert. «Letztlich geht damit die ganze Magie des Europapokals vor die Hunde.»

UEFA überdenkt Regeländerung

UEFA-Präsident Aleksander Ceferin steht auf Frankfurter Seite und kündigte an, derartige Vorgehen nicht mehr dulden zu wollen. «Wir müssen sagen, wenn so etwas passiert, wird dort nicht gespielt. Ganz einfach: Wir werden die Regeln ändern», sagte Ceferin dem ZDF und betonte: «Wir müssen dringend etwas dagegen tun, denn die Entscheidung der Behörden ist absolut nicht korrekt.»

Die Präfektur Neapel hat den Verkauf von Tickets an Frankfurter verboten. Grund dafür sind Sicherheitsbedenken. «Bei Hochrisikospielen sollte jede mögliche Sicherheitsmaßnahme sehr genau geprüft werden, bevor man als allerletzte Option alle Fans einer Mannschaft ausschließt», sagte Sportministerin Nancy Faeser (SPD) auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. «Denn eine so einschneidende Maßnahme trägt womöglich nicht zur Deeskalation bei. Daher habe ich wenig Verständnis für diese Entscheidung.» Die Maßnahmen alarmieren auch den DFB-Präsidenten. Er finde es «problematisch, wenn solche Geschichten einreißen», sagte Bernd Neuendorf zuletzt.

Längst hat sich aus der Ticket-Posse eine facettenreiche Debatte entwickelt. Sie berührt unter anderem die Chancengleichheit im sportlichen Wettbewerb, den fragwürdigen Ausschluss von Menschen mit einer bestimmten Postleitzahl und führt auch zu der Frage: Wird das eigentliche Ziel, die Sicherheit zu erhöhen, durch die Maßnahmen überhaupt erreicht?

«Unter Sicherheitsaspekten, also vor allem mit Blick auf den polizeilichen Auftrag der Gefahrenabwehr, kann eine solche Maßnahme zielführend sein», sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke. Es sei jedoch auch nicht auszuschließen, «dass angesichts nicht seltener, oft höchst brutaler sogenannter Drittortauseinandersetzungen eine noch höhere Eskalationsstufe gezündet» würde. Solche Auseinandersetzungen abseits des Stadions werden auch in Neapel befürchtet.

Gefahrenlage größer?

Wegen des Ticket-Verkaufsverbotes an Menschen aus der Stadt Frankfurt und des Eintracht-Verzichts auf das komplette Gästekontingent wird es dort keinen offiziellen Fantreffpunkt und auch keine Begleitung von Gäste-Anhängern durch die Stadt zum Stadion geben, wie es sonst bei Europapokalspielen üblich ist. «Die Gefahrenlage ist durch die vermeintlichen Sicherheitsmaßnahmen größer geworden», meinte Minden aus dem Vorstand der Eintracht-Fanabteilung auch deshalb. «Das Sicherste ist immer, die Leute in einem Gästeblock zu haben. Ob man das jetzt gut oder schlecht findet: realistischerweise wird Neapel trotz aller Bemühungen keine Frankfurt-Freie-Zone sein.»

Der renommierte Sportanwalt Thomas Summerer hält die Schritte der Behörden in Italien zudem für rechtswidrig. «Das Ticketverbot für Fans, die in Frankfurt wohnen, ist ein Verstoß gegen europäisches Recht», sagte der 62-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. «Faktisch bedeutet es ein Einreisehemmnis nach Italien, da der Besuch des Spiels ja gerade der Grund der Reise ist. Verletzt ist die sogenannte passive Dienstleistungsfreiheit. Danach dürfen auch die Empfänger von Dienstleistungen, also die Zuschauer einer Sportveranstaltung, durch einen Mitgliedstaat grundsätzlich nicht an der Einreise gehindert werden», erklärte Summerer.

Minden forderte von der Europäischen Fußball-Union Konsequenzen für Neapel. «Es ist eine klare UEFA-Regel, dass fünf Prozent der Stadionkapazität sicher abgetrennt an den Gastverein gehen müssen. Ein Standort, der das nicht gewährleisten kann, der hat im europäischen Wettbewerb nichts verloren», sagte er. Die UEFA selbst teilte auf Anfrage lediglich mit, dass sie die Entscheidung der lokalen Behörden zur Kenntnis genommen habe, mit den beiden Clubs in Kontakt stehe und die Entwicklung der laufenden Gespräche verfolge.

Ob das Beispiel Neapel auch für weitere internationale Spiele Schule macht, ist nicht abzusehen. Stadt-Betretungsverbote für als gewaltbereit bekannte Fans für bestimmte Spiele mit besonders hohem Gefahrenpotenzial gibt es bereits. Der Ausschluss von Menschen nach Wohnort wäre aber eine neue Qualität. Kopelke von der GdP hält eine solche Praxis in Deutschland zumindest für denkbar. «Denkbar schon, und machbar sollte es bei entsprechenden polizeilichen Erkenntnissen auch sein. Eine solche gefahrenpräventive Maßnahme kann und sollte jedoch nur eine sehr besondere Ausnahmesituation darstellen», sagte er.

Von Thomas Eßer, Andreas Schirmer, Christian Kunz, Eric Dobias und Manuel Schwarz, dpa
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