Bayern Münchens Vorstandsvorsitzender Oliver Kahn: «Eine Saison ohne Bayern-Titel wäre eine Katastrophe.» (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Hilflos, ratlos, kopflos: Nach der Demütigung beim FSV Mainz 05 kämpfte die schockierte Führungsriege des FC Bayern vergeblich um Erklärungen für den sportlichen Absturz – mit unterschiedlicher Rollenverteilung. Der in der Kritik stehende Vorstandschef Oliver Kahn attackierte die Spieler, sprach von einer «Katastrophe», sollte diese Saison ohne Titel enden, stellte sich aber vor Trainer Thomas Tuchel. Dessen Schonzeit nach seinem fast historisch schlechten Bayern-Start ist aber auch schon wieder vorbei.

Club-Präsident Herbert Hainer schloss direkte Konsequenzen vorerst aus – trotz des Verlustes der Tabellenführung. Vorstandschef Oliver Kahn soll Medienberichten zufolge mindestens bis Ende Mai die Chance bekommen, die Bayern aus der tiefen sportlichen Krise zu führen. Die «Bild» und Sky berichteten am Sonntag, dass rund um das Saisonende Gespräche des Aufsichtsrats geplant seien.

«Was haben wir in dieser Rückrunde schon alles versucht: Spieler, Systeme, Taktik, Trainerwechsel. Zum Schluss sind es elf Mann, die auf dem Platz stehen, die sich für die Ziele dieses Clubs den Arsch aufreißen müssen», wetterte Kahn nach dem 1:3 am Samstag in einer für ihn typischen Wutrede. «Um das geht es und um nichts anderes. Mit dieser Ausstrahlung wird es ganz schwer, deutscher Meister zu werden.»

Titellose Saison droht

Nach der Blamage in Mainz ist es alles andere als ausgeschlossen, dass die Münchner erstmals seit 2012 wieder eine Saison ohne Titelgewinn beenden. In der Champions League sind sie gegen Manchester City und im DFB-Pokal gegen den SC Freiburg ausgeschieden. Verfolger Borussia Dortmund nutzte am Samstag die Bayern-Vorlage und übernahm die Tabellenführung durch das 4:0 gegen Eintracht Frankfurt mit einem Punkt Vorsprung.

«Wir werden keinen Millimeter nachgeben, auch in dieser Saison trotz schlechter Leistung deutscher Meister zu werden», sagte Kahn. Das Restprogramm der Münchner scheint leicht komplizierter als das des BVB. Am Sonntag geht es erst einmal gegen Schlusslicht Hertha BSC. «Wir konzentrieren uns erst einmal auf die deutsche Meisterschaft. Das wird schwer genug sein, wie wir heute gesehen haben», sagte Hainer mit düsterer Miene zu möglichen Konsequenzen. «Über alles andere reden wir dann später.»

Ob das Erreichen dieses Minimalziels Kahns Job retten wird, ist keineswegs gewiss. Zumal das Draufhauen auf die verunsicherte Mannschaft eher wie eine Ablenkung von eigenen Fehlern wirkte. Auch seine Rückendeckung für Tuchel, den er mit Sportvorstand Hasan Salihamidzic für Julian Nagelsmann geholt hat, fügt sich da an: «Thomas Tuchel ist der Letzte, über den wir diskutieren müssen.» Dabei legte der Weltklasse-Trainer mit nur zwei Siegen aus sieben Pflichtspielen einen kapitalen Fehlstart hin – ein Negativrekord wie einst von Sören Lerby 1991/192.

Neuer Coach ratlos

Tuchel hat die Aufgabe, mit einigen Veränderungen den FC Bayern wieder auf Erfolgskurs zu steuern, unterschätzt. Nach dem desaströsen Auftritt bei seinem Ex-Club, den er von 2009 bis 2014 trainiert hatte, wirkte er völlig ratlos. «Wir müssen eine Niederlage mit drei Gegentoren erklären. Ich weiß nicht wie», sagte er.

Nach dem 1:0 durch Sadio Mané (29. Minute) hatten Ludovic Ajorque (65.), Leandro Barreiro (73.) und Aarón Martín (79.) binnen 14 Minuten mit ihren Treffern die sensationelle Wende geschafft – ohne große Gegenwehr. Die Ordnung, Klarheit und die mentale Frische hätten da gefehlt, lautete Tuchels Diagnose. Alles sei zu kompliziert, technisch unsauber und fehlerbehaftet gewesen: «Wir wirken ausgelaugt, als hätte die Mannschaft schon 80 Spiele in den Knochen.»

Eine Vorstellung, wie das Starensemble aus dem Tief herausgeholt werden kann, hatte Tuchel nicht parat. «Mir wäre es lieber, es wäre offensichtlich, an welchen Dingen wir arbeiten können. Es sind keine technisch-taktischen und strukturellen Probleme», sagte er. «Ich habe das Gefühl, jetzt neue Inhalte zu vermitteln, um noch einmal etwas zu verändern, bringt nichts. Jeder kämpft mit sich selber. Es rinnt uns durch die Hände.» Im Endspurt muss er auf Alphonso Davies verzichten. Der kanadische Nationalspieler zog sich in Mainz einen Muskelbündelriss im linken Oberschenkel zu.

Auch Salihamidzic konnte nichts Wegweisendes zur Lösung der Probleme beisteuern, außer Gemeinplätze, dass nur «über den Kampf» Spiele gewonnen werden könnten – und die Tore fehlten. Seine Einordnung der Lage nach dem Mainz-Debakel war hingegen treffend: «Natürlich ist das heute ein Tiefpunkt.»

Erholung verordnet

Statt Standpauken und Krisengesprächen verordnete Tuchel seinen Spielern zur mentalen Erholung eine dreitägige Pause bis Mittwoch, die «dringend für alle» gebraucht würde. «Weil Energie fehlt, und die holen wir uns nicht, wenn wir alle einbestellen und weitermachen», erklärte er.

Auch Kapitän Thomas Müller begrüßte diese Auszeit, um sich von «der eigenen Familie wieder aufpäppeln» zu lassen. Denn: «Es ist eine gewisse Leere und Ratlosigkeit bei mir da.» Die Mannschaft habe die Rückschläge im Pokal und in der Champions League «irgendwo tief drin nicht abschütteln» können, sagte Müller: «Wir sind auch nur Menschen.»

Andreas Schirmer, dpa
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