Wenn der Mannschaftsbus von Union Berlin auf den Paseo de la Castellana einbiegt, spürt auch Urs Fischer das Königsklassen-Kribbeln. Champions League. Bei Real Madrid. Im Estadio Santiago Bernabéu. Das klingt immer noch unwirklich. Wie eine gute Laune des Fußball-Gottes, der den Eisernen schon so lange wohlgesonnen ist.
«Wir sind noch kein Champions-League-Verein», sagte Trainer Fischer zu der Dimension, die sein Team gerade ereilt. Mit dem ihm typischen Understatement kann der Schweizer das alles auch nicht mehr erklären.
Das Duell mit dem Rekordchampion um Toni Kroos, Antonio Rüdiger und Jude Bellingham am Mittwoch (18.45 Uhr/DAZN) ist Realität. Also gehört für den akribischen Coach nach der Ankunft im Hotel Four Seasons in der Calle Sevilla eine adäquate Vorbereitung dazu, keine 15 Minuten vom Bernabéu entfernt.
Ehrfurcht und Angst nicht erwünscht
Wenn die riesige Silberschüssel im Herzen der spanischen Hauptstadt dann ins Blickfeld gerät, müssen alle Ängste, aber auch alle Sentimentalitäten vergessen oder zumindest ausgeblendet sein. «Ehrfurcht und Angst sind genau die beiden Sachen, die wir nicht brauchen», sagte Robin Gosens.
Mit Inter Mailand griff der Nationalspieler im Mai nach dem riesigen Pokal, die 0:1-Niederlage im Finale gegen Manchester City schmerzte. Der 29-Jährige wurde von Union Berlins Wunder-Einkäufer Oliver Ruhnert wie auch Italiens Europameister Leonardo Bonucci genau für diese großen Auftritte nun nach Berlin geholt. Der Union-Geschäftsführer hatte durch die Königsklassen-Qualifikation finanziell neue Spielräume. 15,64 Millionen Euro Startgeld und einen mittleren einstelligen Millionenbetrag aus der Koeffizientenregel haben die Eisernen schon eingestrichen bevor mögliche Punktprämien fließen.
Union bei Real. Viel mehr Gegensatz ist dennoch kaum möglich im europäischen Spitzen-Fußball. Hier der sich beharrlich als Underdog stilisierende Arbeiterverein aus Berlin-Köpenick, dort der sich an galaktischem Glamour orientierende Trophäensammler-Club. Unions einziger Titel, der FDGB-Pokalsieg 1968 verschwindet im Schatten von allein 14 Henkel-Pötten der Königlichen.
Unions Dauer-Wunder
Doch warum soll Unions Dauer-Wunder seit dem Bundesliga-Aufstieg vor gut vier Jahren nicht im Bernabéu weitergehen? «90 Minuten Fußball, in denen der kleine Gegner dem großen Gegner auch mal wehtun kann. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele im Fußball», sagte Gosens. Man dürfe sich halt keine Schludrigkeit leisten, wie zuletzt in der Liga gegen RB Leipzig (0:3) und den VfL Wolfsburg (1:2). «Aber es ist auch eine schöne Erfahrung, gegen so eine Mannschaft zu spielen, wir versuchen, unser Bestes zu geben, kämpfen als Team und vielleicht ist etwas möglich», sagte Verteidiger Danilho Doekhi.
In der Bundesliga und auch im Vorjahr in der Europa League half oft die Unkenntnis der Gegner. Union ist aber nicht mehr so klein, um unterschätzt zu werden, auch nicht international. Und dann ist da auch noch Toni Kroos, der große Bruder von Felix Kroos, dem einstigen Union-Kapitän. «Ich durfte schon ein wenig warnen vor Union», berichtete er kurz nach der Auslosung im Podcast «Einfach mal Luppen» mit seinem Bruder über die Neugierde seiner Real-Kollegen an dem ungewöhnlichen Kontrahenten aus dem Osten Berlins.
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
Real Madrid: Kepa – Carvajal, Rüdiger, Alaba, Fran Garcia – Tchouameni – Camavinga, Bellingham, Kroos – Rodrygo, Joselu
1. FC Union Berlin: Rönnow – Doekhi, Knoche, Leite – Juranovic, Kral, Gosens – Laidouni, Tousart – Becker, Behrens
Schiedsrichter: Espen Eskås (Norwegen)