Ob Ralf Rangnick in diesen Tagen mal an eine Stichelei von 2008 zurückdenkt? «Wenn Sie flotte Sprüche hören wollen, müssen Sie nach München fahren. Wenn Sie flotten Fußball sehen wollen, sind Sie in Hoffenheim richtig.» Das hatte Rangnick als damaliger Trainer der TSG Hoffenheim in Richtung FC Bayern gefrotzelt.
Gut eineinhalb Jahrzehnte später hat der Nationaltrainer Österreichs übereinstimmenden Medienberichten zufolge gute Chancen, selbst beim Rekordmeister für tollen Fußball zu sorgen – und er hat jetzt ein Angebot der Bayern vorliegen. Die kleine Provokation von damals bereue er übrigens, hatte Rangnick schon vor einiger Zeit erzählt.
Rangnick gilt als Trainer-Wunschkandidat – das freilich erst, nachdem der Leverkusener Meister-Coach Xabi Alonso und Bundestrainer Julian Nagelmann den Bayern-Bossen abgesagt hatten. Nach einer Saison, in der die Münchner in der Bundesliga deutlich abgehängt worden waren, soll er demnach – als C-Lösung – einen Umbruch vollziehen.
Offenbar will der FC Bayern Rangnick
Rangnick habe ein «Angebot von Bayern München» und er denke darüber nach, erzählte der Sportdirektor des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB) Peter Schöttel dem ORF in einem Interview. Er bezog sich auf ein gemeinsames Treffen, an dem auch ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer beteiligt war.
Es sei nun für «alle Beteiligten wichtig, zeitnah eine Entscheidung» zu erhalten. «Ich denke, es wird in ein, zwei Wochen erledigt sein müssen», sagte Schöttel weiter. Es werde nicht zuletzt auch vom FC Bayern «natürlich eine Deadline geben, weil sie auch Bescheid haben wollen».
Rangnick grübelt: «Will ich das überhaupt?»
Mit diesen Aussagen nahm die Personalie Rangnick am Abend Fahrt auf, nachdem der Schwabe erst nur eine Annäherung der Münchner eingeräumt hatte. «Es gab eine Kontaktaufnahme von Bayern München», bestätigte er dem österreichischen Portal «90minuten.at» in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview, fügte aber an: «Im Moment gibt es keinen Grund, mich intensiv und konkret damit zu beschäftigen.»
Auf die Nachfrage, wann das denn der Fall sei, antwortete er: «In dem Moment, wo die Bayern sagen würden: Wir wollen Sie. Und dann muss ich mich fragen: Will ich das überhaupt?» Und laut ÖFB-Sportdirektor Schöttel will der FC Bayern, von dem zunächst keine offiziellen Aussagen dazu vorlagen, tatsächlich.
Der ÖFB setzt auf das Vertrauensverhältnis
Ende Juni und damit kurz vor seinem möglichen Dienstantritt an der Säbener Straße wird Rangnick 66 Jahre alt. Soll er dann ein neues Leben beim größten Verein seiner bisherigen Vita anfangen? Von den Bayern gab es in dieser Woche bislang keinen Kommentar zu den Spekulationen und Berichten. Der ÖFB, für den Rangnick die Nationalmannschaft als Bundestrainer auf die Europameisterschaft vorbereitet und auch auf jeden Fall als Projektleiter durchziehen soll, verwies zunächst nüchtern auf einen gültigen Vertrag des Deutschen über den Sommer hinaus.
«Wir haben in den letzten zwei Jahren ein sehr vertrauensvolles Verhältnis gepflegt. Das werden wir auch so weiterführen. Je nachdem, in welche Richtung seine Entscheidung geht, werden wir gemeinsam besprechen, wie es weitergeht», sagte Schöttel nun.
Kontrollversessener oder «Entwicklungshelfer»?
Was erhoffen sich die Münchner von Rangnick? Zunächst mal kennt er die Bundesliga bestens, war Trainer und Manager etwa in Stuttgart, auf Schalke, bei Hannover 96 und RB Leipzig und machte den Dorfverein Hoffenheim einst als Aufsteiger zum Herbstmeister. Er gilt als sehr akribisch und als kontrollversessen.
Er sehe sich selbst als «Entwicklungshelfer», hatte Rangnick vor zwei Jahren in einem Magazin von Red Bull gesagt, er will Bessermacher und Motivator sein. In einem Verein wie dem FC Bayern, bei dem jahrzehntelange Macher wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge im Aufsichtsrat sitzen, könnte sich durch die Ankunft eines Coaches, der viel Macht und Gestaltungsspielraum gewohnt ist, eine spannende Konstellation ergeben.
«Er denkt anders als der Mainstream»
Sollte Rangnick, auch nach dem Aus von Niko Kovac 2019 an der Säbener Straße gehandelt, nun tatsächlich Trainer in München werden, würde der jahrelange Red-Bull-Impulsgeber auf einige Führungskräfte mit Brausenachgeschmack treffen. Sportvorstand Max Eberl, Nachwuchschef Jochen Sauer und Sportdirektor Christoph Freund haben alle eine Energydrink-Vergangenheit. Der eine eine kürzere, die anderen beiden eine längere.
Vor allem Freund kennt Rangnick bestens, war er doch von 2012 bis 2015 quasi dessen rechte Hand bei Red Bull Salzburg. «Er denkt größer, er denkt anders als der normale Mainstream», beschrieb der Österreicher einmal die Qualitäten des Deutschen, dessen «Konsequenz und Beharrlichkeit» beeindruckend seien.
Rangnick als Förderer von Nagelsmann & Co.
Indem Rangnick während seiner Karriere anders gedacht und anders gehandelt hat als so viele andere, hat er als Inspiration und Förderer für zahlreiche andere Trainer gedient, die heute selber Topmannschaften betreuen. Marco Rose, einst bei Red Bull Salzburg, heute bei RB Leipzig, ist so einer, den man gerne Rangnicks Zögling nennt, oder natürlich Julian Nagelsmann, der lieber Bundestrainer bleibt, als zum FC Bayern zurückzukehren.
«Er ist jemand, der junge Menschen extrem fördert und fordert», sagte Nagelsmann vor dem Länderspiel Deutschland gegen Österreich im November, als die Mannschaft des Lehrers Rangnick mit 2:0 gegen die Mannschaft des einstigen Schülers Nagelsmann gewann.
Rangnick kann eine Identität stiften
Ob nun Nagelsmann oder Rose – alle von ihnen haben Rangnicks Unmissverständlichkeit schätzen gelernt. «Es braucht eine klare Vereinsphilosophie», dozierte er einmal. «Wenn es keine Fußballidentität gibt, stehst du als Verein für nichts.» Wer bin ich? Was macht mich aus? Rangnick, für Understatement nicht bekannt, kann darauf Antworten geben – und sogar einen ganzen Verein mitziehen. Wenn man ihn lässt.
Ist das «Mia san mia» des FC Bayern mit Rangnicks Kompromisslosigkeit und Kompetenzanspruch zu vereinbaren? Oder prallen da zwei Kulturen aufeinander? «Der größte Motivator für Menschen ist nicht Geld», sagte Rangnick einmal dem Magazin «Red Bulletin», «sondern einen Chef, Trainer oder Professor zu haben, der oder die dich besser macht. Dann werden dir die Spieler oder Mitarbeiter immer folgen». Wie klingt das, FC Bayern?