Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus rät der deutschen Fußball-Nationalmannschaft nach ihrer EM-Auftaktniederlage gegen Frankreich (0:1) zu einer offensiveren Ausrichtung.
«Weltmeister Frankreich hat Deutschland die Grenzen aufgezeigt», schrieb der 60 Jahre alte Ex-Profi in einer exklusiven Kolumne für den internationalen Dienst der Deutschen Presse-Agentur. «Die Deutschen waren zwar bemüht, aber manches hat mich bei denen an 2018 erinnert.» Damals schied das Team des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) bei der WM in Russland bereits in der Vorrunde aus, Frankreich holte den Titel.
Die Franzosen seien «spritziger, aggressiver, galliger» und ihr Sieg in München am Dienstag «verdient» gewesen, sagte Matthäus zudem dem TV-Sender Sky am Mittwoch. Aus einer stabilen Defensive heraus hätten sie «ihre schnellen, speziellen Spieler in der Offensive perfekt eingesetzt». Mittelfeldmann Paul Pogba habe «überragend» gespielt.
Neues System im Blick
Bundestrainer Joachim Löw indes sollte nach Matthäus‘ Meinung über einen Systemwechsel nachdenken – zum Beispiel hin zu einer 4-2-3-1-Formation. «Gegen Portugal und Ungarn müssen wir offensiver spielen», sagte der Weltmeister von 1990 mit Blick auf die beiden verbleibenden Gruppenspiele des DFB-Teams. «Ich glaube, dass Joshua Kimmich sich auf der rechten Seite nicht so wohl fühlt wie in der Zentrale. Und in der Zentrale hat Kimmich gefehlt. Diese Galligkeit, die die französische Mannschaft hatte, hatten wir im Zentrum nicht.» Er sehe daher «ein bisschen ein anderes Mittelfeld».
Matthäus hat überhaupt kein Verständnis für die Klagen vieler Fußballprofis der heutigen Generation über die zu hohen Belastungen. «Ich kann das nie nachvollziehen, wenn die Spieler heute immer sagen «hohe Belastung», «Hitze», «englische Wochen». Das haben wir früher alles selber gehabt», sagte der ehemalige Weltklasse-Fußballer in einem Gespräch mit dem «Zeitmagazin».
«Du wolltest immer spielen»
«Es ist ja nicht so, dass ich viel weniger Spiele gehabt habe als die Spieler heute. Vielleicht drei, vier Spiele weniger in der Saison, aber dafür haben die jetzt einen Kader von mehr als 20 Leuten, und wir hatten in Mönchengladbach Anfang der Achtziger 13 oder 14 Stammspieler», sagte Matthäus. «Du hast nie rotiert. «Rotieren», das ist ein Wort, das hat’s im Fußball früher nicht gegeben. Du wolltest immer spielen!»
Der Weltmeister von 1990, der von 1980 bis 2000 insgesamt 150 Mal im DFB-Trikot auflief, arbeitet als TV-Experte für Sky. Viele Sprüche auf den Fußballplätzen seiner Generation wären heute kaum noch sendefähig, gibt Matthäus zu. «Es ging rauer zu. Wir Spieler sind auch von den Verantwortlichen härter behandelt worden. Heute werden die Spieler geschützt, selbst wenn sie 3:0 verlieren, dann hat Pep Guardiola bei der Pressekonferenz anschließend immer noch das perfekte Spiel seiner Mannschaft gesehen», sagte der 60-Jährige.
Auch beim FC Bayern hat der frühere Profi das erlebt. «Draußen haben der Uli Hoeneß oder der Udo Lattek Interviews gegeben, da bist du namentlich erwähnt worden von den Jungs, wie schlecht du warst, was du für ein Arsch bist», sagte Matthäus in dem «Zeit»-Interview. «Solche Wörter sind da teilweise vor der Kamera gefallen. Und so war die Sprache auch während des Spiels untereinander. Da hätte man einiges schneiden müssen, um es senden zu können. Es ging auch im Training rauer zu, wir sind oft aufeinander losgegangen.»
Dass seine inzwischen gestorbenen Eltern stolz auf ihn waren, das habe er als Sohn «gespürt, aber gesagt haben sie es nie». Über den Tod denke er seither nicht anders nach, betonte Matthäus, «aber über mein Testament, das ist noch nicht fertiggestellt. Ich will, dass es keine Streitigkeiten gibt.»