Bundestrainer Joachim Löw (r) musste im Montags-Training auf drei wichtige Spieler verzichten. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

So schnell kann es gehen beim DFB-Team.

Als die Verletzung von Thomas Müller bekannt wurde und die angeschlagenen Stammkräfte Mats Hummels und Ilkay Gündogan ebenfalls beim spaßbetonten Training in Herzogenaurach fehlten, war plötzlich klar: Joachim Löw braucht für den EM-Gruppenabschluss einen neuen Plan. Seine beim begeisternden 4:2 gegen Portugal bestens funktionierende Elf könnte für diesen Mittwoch (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) gesprengt werden, auch wenn der DFB den von einigen Medien gemeldeten Ausfall von Müller gegen Ungarn nicht bestätigte. Zumindest der neue Fan-Liebling Robin Gosens meldete sich nach Adduktorenproblemen wieder fit. Beim Fußball-Tennis trieb er seine Mitspieler an und feierte jeden Punkt.

Löw registrierte das lautstarke Geschehen als stiller Beobachter im Adi-Dassler-Stadion aufmerksam. Unabhängig vom Personal weiß der Turniercoach, wie sich der 61-Jährige selbst gerne nennt, dass sein Team gegen die unbequemen Ungarn denselben Einsatz, Willen und auch die Durchschlagskraft braucht wie gegen die Portugiesen. So wie gegen Cristiano Ronaldo und Co. müsse sein Team arbeiten und «den Gegner unter Druck setzen», sagte Löw zum ersten Pflichtspiel gegen Ungarn seit dem «Wunder von Bern» 1954. Damals siegte Deutschland mit Fritz Walter im WM-Finale gegen die zu der damaligen Zeit im Weltfußball favorisierten Magyaren überraschend mit 3:2.

«Erster Schritt in die richtige Richtung»

Von einem Titel ist der aktuelle Turnier-Jahrgang noch weit entfernt, auch wenn die starke Vorstellung im zweiten Gruppenspiel durchaus als Achtungszeichen an die Konkurrenz gewertet werden darf. «Es war ein erster Schritt in die richtige Richtung», sagte Leon Goretzka. Der Münchner ist die erste Lösung, falls Müller oder Güdogan nicht rechtzeitig fit werden sollten. «Ich fühle mich jetzt bereit, voll anzugreifen», sagte der Mittelfeld-Allrounder mit Zug zum gegnerischen Tor nach ausgestandenem Muskelfaserriss.

Bei Dauerläufer Müller vermeldete die medizinische Abteilung der Fußball-Nationalmannschaft eine Kapselverletzung am Knie, die er sich in der Schlussphase des Portugal-Spiels zugezogen hatte. Zunächst bekam der 31-Jährige ein individuelles Übungsprogramm verordnet. Bayern-Kollege Goretzka beschrieb Müllers Ehrgeiz: «Wie er sich im Pool bewegt hat, ist es noch nicht ausgeschlossen, dass er spielt.» Man wolle «von Tag zu Tag schauen», teilte der Verband mit.

Auch Gündogan nicht im Training

Gündogan konnte am Montag im fränkischen Camp wegen einer Wadenblessur auch nicht mit dem Team trainieren. Abwehrchef Hummels plagt sich weiter mit einer Patellasehnenreizung herum. Für den Dortmunder könnte Niklas Süle in die erste Elf rutschen. Toni Kroos legte eine Regenerations- und Laufeinheit ein. Der Real-Madrid-Star schwitzte wie der Leipziger Lukas Klostermann (Muskelverletzung) im gläsernen Fitness-Pavillon. Das Mitwirken von Kroos gegen Ungarn ist aber nicht gefährdet. Erstmals wieder komplett im Kollektiv konnte der Gladbacher Jonas Hofmann trainieren.

Die Stimmung auf dem Übungsplatz war trotz der personellen Einschränkungen prächtig. Joshua Kimmich, über dessen Versetzung auf die rechte Außenbahn nach der starken Vorstellung gegen Portugal auch kein Experte mehr diskutiert, lieferte sich schon lange vor dem offiziellen Trainingsstart auf einem Kleinfeld ein Fernschuss-Duell mit Robin Koch. Gosens, der andere Teil der wirkungsvollen Flügelzange, ballte bei guten Bällen im Fußball-Tennis immer wieder die Faust. «Wir wollen gewinnen und den positiven Trend fortsetzen», verkündete Goretzka im Namen der Mannschaft.

Mit Wenn-dann-Konstellationen etwa als Gruppen-Dritter oder möglichen Achtelfinalgegnern hält sich der 26-Jährige nicht auf. Deutschland reicht schon ein Punkt zum Erreichen der K.o-Runde. Bei einem Sieg ist sogar noch der erste Gruppenplatz drin, wenn im Parallelspiel Frankreich nicht gegen Portugal gewinnt. Als Gruppensieger ginge der Weg über Bukarest, als Zweiter über London, als Dritter über Budapest oder Sevilla. Doch Achtung: Auch ein Vorrunden-K.o. ist noch nicht ausgeschlossen. Verliert Deutschland gegen Ungarn – und Portugal holt mindestens einen Punkt gegen Frankreich – wäre am Mittwoch Schluss.

Respekt vor Ungarn

Dieser Situation sei sich jeder im Team bewusst, betonte Goretzka: «Wir haben mit Abstand die schwierigste Gruppe, da zählen auch die Ungarn dazu. Sie haben mit viel Leidenschaft verteidigt. Den Abwehrriegel muss man erst einmal knacken.» Verteidiger Marcel Halstenberg warnte vor den Offensivstandards des Kontrahenten. Sein Leipziger Vereinskollege Willi Orban sei immer für ein Kopfballtor gut. Nach dem 4:2-Torefest gegen Portugal werde das Match vielleicht ein wenig zäher, «weil Ungarn tiefer steht, mit acht, neun Leuten verteidigt und auf ein paar einzelne Konter hofft», bemerkte Löw.

Der Bundestrainer erwartet gerade bei offensiven und defensiven Standardsituationen sowie bei der Absicherung bessere Lösungen. «Ich habe das Gefühl, dass da noch nicht alles ganz hundertprozentig klappt.» Die Fans setzen auf die nächste Gala von Aufsteiger Gosens.

Der will sich vor allem seine Unbekümmertheit erhalten. Als Führungsspieler sieht sich der Mann von Atalanta Bergamo noch nicht. «Ich bin auf jeden Fall ein Spieler, der sehr emotional ist, der damit den einen oder anderen mitreißen kann. Ein Führungsspieler zeichnet sich aus durch sein Naturell und Erfahrung», sagte Gosens. Nach gerade neun Länderspielen könne er «nicht von riesen Erfahrung sprechen».

Von Jens Mende, Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa
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