Der Schweizer Torwart Yann Sommer jubelt nachdem er den entscheidenden Schuss im Elfmeterschießen gehalten hat. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jean-Christophe Bott/KEYSTONE/dpa)

Der Weltmeister ist raus – und wie! Turnier-Favorit Frankreich scheiterte in einem packenden und turbulenten Achtelfinale trotz zwischenzeitlicher 3:1-Führung an der nie aufsteckenden Schweiz.

Die Eidgenossen gewannen mit 5:4 im Elfmeterschießen, nachdem sie sich durch eine großartige Aufholjagd zum 3:3 (1:0) nach regulärer Spielzeit in die Verlängerung gerettet hatten.

Nach dem Tor von Haris Seferovic (15. Minute) für die Schweiz drehte Altstar Karim Benzema (57. und 59.) zunächst die Partie innerhalb kürzester Zeit. Paul Pogba traf zudem weltmeisterlich (75.). Doch erneut Seferovic (81.) und Mario Gavranović (90.) erzwangen die Nachtschicht in Bukarest. Kylian Mbappé scheiterte für mit dem letzten Elfmeter für Frankreich am Mönchengladbacher Torhüter Yann Sommer.

Erstes EM-Achtelfinale der Schweiz

Die Équipe Tricolore dagegen muss zusehen, wenn die Eidgenossen am Freitag ihr erstes Viertelfinale einer Fußball-Europameisterschaft oder -Weltmeisterschaft seit 1954 bestreitet. In St. Petersburg wartet Spanien. Aus der einstigen Hammergruppe F ist nach dem Aus von Titelverteidiger Portugal und Weltmeister Frankreich jetzt nur noch die deutsche Nationalmannschaft im Turnier verblieben.

«Ich bin mega stolz auf uns, auf die ganze Mannschaft. Die Franzosen waren stark, aber sie hatten einen Moment, in dem sie ein bisschen überheblich wurden. Wir hatten uns gesagt, dass wir bis zuletzt alles versuchen. Dass wir das jetzt geschafft haben, ist einfach unfassbar. Unfassbar», sagte Elfmeter-Held Sommer. Und Kapitän Granit Xhaka meinte: «Die letzten 30 Minuten waren wir das bessere Team. Wir wollten es vor dem Elfmeterschießen beenden. Aber wir haben es geschafft, wir haben Geschichte geschrieben für den Schweizer Fußball. Jetzt kennt jeder die Schweiz.»

Frankreichs Raphael Varane meinte: «Irgendwas hat nicht gereicht. Hätte, hätte, sollte nicht sein… In der Kabine wird es jetzt ganz ruhig sein.»

Die 22.642 Zuschauer in der Arena Națională sorgten von Beginn an für EM-Stimmung – und das vermeintlich ohne große Corona-Sorgen. In der rumänischen Hauptstadt waren am Sonntag offiziellen Angabe zufolge keine neuen Fälle registriert worden. Am Montagmittag hatten sich zahlreiche Schweizer und Franzosen in der Bukarester Altstadt auf das Achtelfinale eingestimmt.

Schweizer Führung bis zur Pause

Nach dem Anpfiff des Argentiniers Fernando Andres Rapallini, der als erster Nicht-Europäer ein K.o.-Spiel bei einer EM leitete, belauerten sich beide Teams zunächst. Frankreichs Trainer Didier Deschamps setzte auf eine Dreierkette. Die Bayern-Profis Corentin Tolisso, Kingsley Coman und Lucas Hernández saßen zunächst auf der Bank, Jules Koundé fehlte verletzt. Gegen die Schweizer funktionierte das System anfangs zwar mit Schwung und oft über Kylian Mbappé, der gierig auf sein erstes Turnier-Treffer war, aber ohne Torgefahr.

Der Schweizer Nationaltrainer Vladimir Petković vertraute derselben Startelf, die im letzten Gruppenspiel die Türkei mit 3:1 geschlagen hatte – die Nati war nach dem Sieg mit durchaus großem Selbstbewusstsein nach Rumänien gereist. Das Team sei «bereit, Geschichte zu schreiben», hatte Kapitän Granit Xhaka gesagt.

Im Spiel setzten sich dann auch die Eidgenossen zuerst in Szene und gingen gegen die uninspirierten Franzosen in Führung. Der Ex-Frankfurter Haris Seferovic (15.) köpfte nach Flanke des Eintracht-Profis Steven Zuber zu seinem 23. Länderspiel-Treffer ein, nachdem Clement Lenglet als zentraler Mann der Abwehr das entscheidende Kopfballduell verloren hatte. Seferovic rannte anschließend fast auf die andere Seite des Feldes zum Schweizer Fanblock und löste laute «Hopp Schwiiz»-Rufe aus.

Frankreich reagierte wütend, aber unpräzise. Zwei Distanzschüsse innerhalb weniger Minuten von Mbappé (26.) und Adrien Rabiot (29.) gingen am Schweizer Tor vorbei. Danach aber schaltete der Weltmeister wieder in den Freundschaftsspiel-Modus: kein Druck, keine Ideen, kein Einsatz. So hatten die Schweizer keine Mühe, mit ihrem grundsoliden Spiel die Führung mit in die Pause zu nehmen.

Lebhafte zweite Halbzeit

Die Franzosen kamen mit veränderter Formation und Coman zurück auf den Platz, blieben aber trotzdem zunächst ungewöhnlich harmlos. Und dann patzte auch noch Bayerns Benjamin Pavard und foulte Zuber im Strafraum. Referee Rapallini gab nach Videobeweis Strafstoß. Doch der Ex-Wolfsburger Ricardo Rodriguez (55.) scheiterte an Frankreichs Keeper Hugo Lloris.

Danach ging alles ganz schnell: Erst erzielte Benzema (57.) auf Mbappé-Vorlage das 1:1 und zwei Minuten später nach feinstem Kurzpassspiel im Strafraum per Kopf auch das 2:1. Zwischen verschossenem Schweizer Elfmeter und Benzemas vierten Turnier-Treffer lagen nur vier Minuten und drei Sekunden.

Die Schweizer aber steckten nicht auf – auch nicht nach Pogbas traumhaftem Tor zur für die Franzosen nur scheinbar beruhigenden 3:1-Führung. Seferovic und Gavranović retteten die Eidgenossen durchaus verdient in die Verlängerung, in der Benzema früh ausgewechselt wurde. In den 30 Extra-Minuten blieben bis auf eine Möglichkeit von Mbappé (110.) Torchancen Mangelware.

Von Jan Mies und Martin Kloth, dpa
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