Im einsamsten aller Momente erinnerte Kylian Mbappé an den großen Zinedine Zidane. Mit gesenktem Kopf, den Blick ins Nichts, verließ der 22-Jährige den Innenraum der Arena Națională, in dem andere feierten.
Wie einst auf Zidane nach dessen Platzverweis im verlorenen WM-Finale 2006 lastete der Schmerz der fußballverrückten Franzosen auf ihm allein. «Ich wollte dem Team helfen, aber ich habe versagt», schrieb Mbappé spät in der Nacht nach dem EM-Aus des Weltmeisters gegen die Schweiz im hochspannenden Achtelfinale von Bukarest in den Sozialen Medien.
Ausgerechnet Mbappé. Im französischen Starensemble, das als großer Favorit in das Turnier gegangen war, ragt der Pariser noch einmal heraus. Im Elfmeterschießen am Montagabend nach 120 aufreibenden Minuten war nur folgerichtig, dass der Flügelspieler, der mal Weltfußballer werden soll, als letzter französischer Schütze antrat. Er scheiterte an dem Schweizer Bundesliga-Torwart Yann Sommer, Frankreich verlor mit 4:5 (3:3, 3:3, 0:1) vom Punkt. Die «Desillusionierung des Mbappé», schrieb Frankreichs Fachzeitschrift «L’Équipe». So schnell kann es gehen.
Achtelfinal-Aus wirft Fragen auf
Trainer Didier Deschamps, der mit Zidane 1998 Welt- und 2000 Europameister geworden war, hatte noch zaghaft versucht, Mbappé bei dessen schwerem Gang vom Rasen zu trösten. «Er weiß natürlich um seine Verantwortung», berichtete Deschamps, dessen Zukunft offen ist. «Er wollte diesen Elfmeter schießen.» Erste Fragen nach einem Bruch im Team wies der 52-Jährige sofort zurück: «Nein, nein, nein. Die Mannschaft ist vereint. Es ist eine einzigartige Mannschaft, heute ist sie am Boden – aber vereint.»
Dennoch, die «Ohrfeige» schon im Achtelfinale (Le Parisien), zumal Frankreich zwischenzeitlich mit 3:1 geführt hatte, wirft Fragen auf. Nach dem 1:0 im ersten Gruppenspiel gegen Deutschland dominierte der Weltmeister bei diesem Turnier nicht mehr wie gewohnt. Deschamps hatte zwar vieles richtig gemacht, unter anderem, weil er Karim Benzema, der gegen die Schweiz zweimal traf, nach sechs Jahre in die Équipe Tricolore zurückgeholt hatte. Benzema, Mbappé, Antoine Griezmann, dahinter Paul Pogba, N’Golo Kanté – natürlich waren die Franzosen der haushohe Favorit. Nach dem Deutschlandspiel folgten aber nur zwei Remis gegen Ungarn sowie Portugal – und dann das Aus.
«So ist der Fußball»
«Wenn Frankreich gewinnt, sind wir die Besten der Welt, und wenn wir verlieren, ist es meine Verantwortung», sagte Deschamps, der sich in der Pause der Verlängerung ein Wortgefecht mit dem wenig später ausgewechselten Bayern-Profi Kingsley Coman geliefert hatte. Stimmt es noch in der Mannschaft? Deschamps Worte klangen zumindest nicht nach Rücktritt.
Der Sender RMC meinte: «Eins ist klar. Verbandspräsident Noël Le Graët wird Didier Deschamps nicht entlassen. Das ist unmöglich. Aber will Deschamps überhaupt weitermachen?» Der frühere Bayern-Profi Willy Sagnol kritisierte die Taktikwechsel: «Das war fatal.» Und für Frankreichs für den Sport zuständige Ministerin Roxana Maracineanu war der ganze Abend «hart, schrecklich hart».
Doch auch Le Graët selbst ließ die Zukunft des Trainers trotz eines Vetrags bis nach der WM 2022 offen. «Ich habe gelernt, dass man im Leben nie spontan eine Entscheidung treffen sollte. Wir werden darüber sprechen, was passiert ist», wurde Le Graët in der «L’Equipe» zitiert: «Wenn man eine Mission fortsetzen will, müssen beide auf derselben Seite stehen. Und da wir uns noch nicht gesehen haben, wissen wir das noch nicht. Wir werden einen Tag zusammen verbringen, uns unterhalten und am Ende des Tages eine Entscheidung treffen.»
Die Deschamps-Debatte dürfte in den kommenden Tagen lauter werden. Allerdings – bis zur WM in Katar im November 2022 ist es nicht mehr so weit. «Dieser Moment tut weh, aber so ist der Fußball. Hier ist es für uns vorbei, das müssen wir akzeptieren», sagte Deschamps, den viel mit Joachim Löw verbindet. Bei der WM 2014 schied Frankreich im Viertelfinale gegen die deutsche Mannschaft aus, die Revanche folgte im EM-Halbfinale 2016. Nach dem peinlichen deutschen Vorrunden-Aus bei der WM 2018 feierte Frankreich später den Titel. Mbappé wurde in Russland als Nachwuchsstar des Turniers ausgezeichnet.
Zuspruch von Fußball-Größen
«Halte den Kopf hoch, Kylian. Morgen wird der erste Tag einer neuen Reise», twitterte Brasiliens Weltstar Pelé (80) in der Nacht zum Dienstag. «Kopf hoch, diese Dinge passieren den ganz Großen», meinte der deutsche Ex-Weltmeister Jérôme Boateng (32). «Null Tore und ein grausames Ende», schrieb dagegen die Zeitung «Le Parisien» zur EM-Statistik des 22-Jährigen.
«Das Einschlafen wird schwierig sein, aber leider sind es die Höhen und Tiefen dieses Sports, die ich so sehr liebe», schrieb Mbappé, oder zumindest jemand, der das in dessen Namen und Auftrag tut, bei Instagram und erzählte von «immenser Traurigkeit». Nun sei es wichtig, «noch stärker aufzustehen», was in Bukarest zuvor auch Deschamps beschworen hatte.
«Ich denke, das wird uns allen helfen», sagte der Trainer. Wie Titelverteidiger Portugal ist nun der Weltmeister raus. Es sei «grausam», im Elfmeterschießen auszuscheiden. Aber «auch wenn es ein enttäuschender Moment ist, wir halten zusammen», sagte Deschamps, wohl wissend, was die Mannschaft noch vor sich hat. Zidanes Gang im Berliner WM-Endspiel mit gesenktem Kopf am goldenen Pokal vorbei war sein letzter als Nationalspieler. Der damals 34-Jährige beendete seine Karriere. Davon ist Mbappé noch weit entfernt.