Beim Spiel des 1. FC Köln gegen Borussia Mönchengladbach waren 50.000 Zuschauer im Stadion. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marius Becker/dpa)

Im Überschwang der Gefühle war es Mark Uth zu verzeihen, einmal nicht an die bedrohliche Corona-Lage gedacht zu haben. Wenn die Südtribüne «singt, tanzt, lacht, trinkt», sagte der Kölner Stürmer nach dem Derbysieg gegen Mönchengladbach, ja, da gebe es kein «schöneres Gefühl».

Die Bilder von 50.000 feiernden Menschen dicht an dicht und entgegen der fast lächerlich späten Anweisung des Gesundheitsamtes oftmals ohne Masken verursachten bei Experten wie Kritikern dagegen genau das Gegenteil. In der Fußball-Bundesliga verdichtet sich wieder einmal der lähmende Streit über den richtigen Umgang mit der Pandemie.

Kritik aus der Politik

«Volle Fußballstadien. Ich frage mich, was die, die auf Intensiv arbeiten, von diesem Land denken, wenn sie das übermüdet und am Ende der Kraft sehen», twitterte die Co-Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, ungefähr zu der Zeit, als sich in Köln der Derbyrausch vom Stadion in die Straßenbahnen und Kneipen verlagerte. In der Arena galt die 2G-Regel, die den Zutritt von ungeimpften Fans ausschließt.

Zumindest in Baden-Württemberg reagierte die Politik bereits am Sonntag und kündigte im Ländle schon bald wieder Geisterspiele an. Die vom Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen) geführte Landesregierung wolle am Montag und Dienstag über Corona-Verschärfungen beraten, sagte Regierungssprecher Arne Braun der Deutschen Presse-Agentur. «Aber es ist klar, dass im Profifußball Geisterspiele kommen», sagte Braun weiter.

Angesichts der dramatischen Lage in Sachsen ist RB Leipzig aktuell der einzige Bundesligist, der bereits vor leeren Rängen spielen muss. «Es ist auf jeden Fall ein Nachteil und es trifft uns nicht nur wirtschaftlich, sondern möglicherweise auch sportlich. Man muss im leeren Stadion große Spiele spielen, bei denen es um viel geht», sagte Leipzigs Geschäftsführer Oliver Mintzlaff am Sonntag vor dem Geisterspiel gegen Bayer Leverkusen bei DAZN.

Doch das kümmert die Politik herzlich wenig. «Ich finde es hochproblematisch, was wir beim Fußball sehen», sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der «Bild am Sonntag». «Die Menschen infizieren sich nicht im Stadion, aber die Anreise und die Feiern nach dem Spiel sind die Infektionsherde. Daher sind Spiele im vollen Stadion aktuell nicht akzeptabel.»

Der erst kurz vor dem Anpfiff verschickte «wichtige Hinweis» von Stadt und Club in Köln zur doch noch erlassenen Maskenpflicht auch auf den Steh- und Sitzplätzen erreichte augenscheinlich Tausende Fans nicht mehr. Am Sonntag teilte die Stadt mit, Gesundheits- und Ordnungsamt würden auswerten, «ob die kurzfristige Anweisung» ausreichend durch den Verein durchgesetzt wurde. Bußgelder scheinen möglich.

Nordrhein-Westfalens Landeschef Hendrik Wüst (CDU) hatte sich als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz damit hervorgetan, eine mögliche Impfpflicht für Profifußballer auf höchster Politikebene ins Spiel zu bringen. Der inzwischen mit Corona infizierte Bayern-Star Joshua Kimmich gehört sicherlich zu den prominentesten Nicht-Geimpften des Landes. Doch der Vorstoß kam bei den Bundesliga-Verantwortlichen nicht gut an.

86 vom 1000 Vertragsspielern nicht geimpft

«In Deutschland hatte ich schon gelegentlich den Eindruck, dass es bei den Ministerpräsidenten-Konferenzen oftmals um die Überschriften für die nachfolgenden Pressekonferenzen ging», sagte Christian Seifert, Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga, im Interview der «Süddeutschen Zeitung». Der 52-Jährige berichtete, von mehr als 1000 deutschen Vertragsspielern seien «Stand Mitte November» 86 nicht geimpft. Er frage sich, ob es im Land «nicht drängendere Probleme gibt als 86 ungeimpfte Fußballer», sagte Seifert, der weiterhin zum Impfen aufruft.

Wüst hatte vor der Partie in Köln die Entscheidung für die Vollauslastung des Stadions in einem ARD-Interview verteidigt: «Ich glaube, das ist bei der Lage in Nordrhein-Westfalen eine angemessene Entscheidung.» Die Entscheidungsgrundlage müsse aber immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Der gesundheitspolitische Sprecher der NRW-CDU, Peter Preuß, sagte derweil im Deutschlandfunk: «Ich bin mir sicher, dass eine solche Genehmigung, wie sie wohl erteilt worden ist, heute, unter den Bedingungen, die wir jetzt kennen, nicht erteilt worden wäre.»

Die Sieben-Tage-Inzidenz in NRW lag laut Robert Koch-Institut zuletzt bei 276,4. In Sachsen, wo am Sonntag die Partie zwischen RB Leipzig und Bayer Leverkusen als Geisterspiel ausgerichtet wurde, stieg der Wert auf 1205,5. «Wir dürfen die Gesundheit von vielen jetzt nicht bei sorglosen Großveranstaltungen verzocken», sagte der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen am Sonntag dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Wettbewerbsverzerrung wegen fehlender Fans?

Die RB-Verantwortlichen hatten zuletzt Wettbewerbsverzerrung beklagt. Und abseits der in Heimspielen sicher unterstützenden Stimmung von den Rängen hängt der Profisport stark von den Einnahmen aus Kartenverkäufen ab, andere Sportarten noch viel mehr als der Fußball. Ein selbstverordneter Zuschauerausschluss an den Standorten, wo die Politik noch Fans erlaubt, ist deshalb eher unwahrscheinlich. Flächendeckend beschließen könnte diese und andere Maßnahmen (Auswärtsfanverbot, Streichung der Stehplätze) die DFL-Mitgliederversammlung, die nächste Sitzung ist für den 14. Dezember geplant.

Die steigenden Zahlen und möglicherweise auch schon die neue Corona-Variante Omikron könnten der Liga diese Diskussion aber recht zügig abnehmen. «Wir müssen uns die nächsten Tage unterhalten. Es müssen auf jeden Fall die Zuschauerzahlen deutlich reduziert werden», sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im Sky-Interview. «Es muss massiver Abstand sein.»

In Bayern dürfen die Stadien derzeit bis zu 25 Prozent der Gesamtkapazität ausgelastet werden. Für das Spitzenspiel am kommenden Samstag zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern in NRW sind nach aktuellem Stand 67.500 Fans zugelassen – noch.

Von Jan Mies, dpa
Folge uns

Von