Schiedsrichterassistent Christian Gittelmann wurde in Bochum von einem Becher am Kopf getroffen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bernd Thissen/dpa)

Der eine traf. Es war kein einzelner Getränkebecher, der Richtung Spielfeld flog, nicht in Bochum und schon gar nicht in den vergangenen Wochen in der Fußball-Bundesliga, die so sehr die Rückkehr der Fans herbeigesehnt hat.

Die meisten als Wurfgeschoss zweckentfremdeten Behältnisse verfehlen ihr Ziel. Doch dieser erwischte Schiedsrichterassistent Christian Gittelmann voll am Hinterkopf. Ein Eklat, der zum Abbruch der Partie des VfL gegen Borussia Mönchengladbach führen musste – und zur Frage, wie viele «Einzelfälle» tragbar sind.

«Solche Bilder» brauche niemand, sagte der Betroffene selbst, der eine Schädelprellung und ein Schleudertrauma erlitt. Der Unparteiische fügte aber gleich an: «Die Fans sind wieder in den Stadien zurück, worauf wir alle so gehofft und gewartet haben. Das soll auch nicht durch diese Tat grundsätzlich infrage gestellt werden.»

DFB ermittelt

Das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes wird den Fall in den kommenden Tagen bewerten. Der VfL Bochum wird als verantwortlicher Verein bestraft werden, das Spiel dürfte zudem für Mönchengladbach gewertet werden. Das zeigt ein vergleichbarer Fall aus 2011. Die Aussagen von Freitagabend zeugen zugleich von einer Befürchtung, dass der Profifußball gleich ein größeres Rad drehen könnte.

«Keine Ahnung, wie man das Problem lösen kann. Vielleicht muss man die wirklich einzäunen, aber das wäre doch traurig», wurde Bochums Vorstandsvorsitzender Hans-Peter Villis von der «Bild» zitiert. «Und das wollen wir auch nicht. Wir leben davon, dass wir so ein Schmuckkästchen haben, dass wir ganz nah dran sind an unseren Spielern.» Im Sport1-«Doppelpass» sagte Villis, «ein Einzeltäter hat den Ruf des VfL Bochum beschädigt». Er warnte davor, «alle Fans über einen Kamm zu scheren».

DFB-Schiedsrichterchef Lutz Michael Fröhlich ordnete ein. «Emotionen dürfen nicht in Gewalt ausarten. Leider mussten wir gestern Abend erleben, dass diese Grenze durch einen Einzeltäter überschritten wurde», sagte Fröhlich laut DFB-Stellungnahme. Im «Doppelpass» berichtete er, Gittelmann sei mit «noch ein bisschen Kopfschmerzen» auf dem Weg der Besserung. Die Sportgerichtsbarkeit müsse sehen, «dass wir Einzelne, die verantwortungslos handeln, rigoros sanktionieren, um nicht das Gesamtsystem zu belasten».

DFB-Lehrwart Lutz Wagner äußerte bei «Spox» und «Goal»: «Wir sind sehr froh, dass wir Fußballstadien ohne Netze, Barrieren oder Plexiglasscheiben haben.» Alle Fans dafür zu bestrafen, «weil irgendwo etwas passiert ist», wäre ein Fehler.

Das Fanbündnis «Unsere Kurve» sieht das ähnlich. «Es steht außer Frage, dass es absolut inakzeptabel ist, dass Schiedsrichter oder Schiedsrichterinnen bei Spielen verletzt werden. Wichtig ist es jetzt, gemeinsam nach sinnvollen, zielführenden und nachhaltigen Lösungen zu suchen, statt pauschale Forderungen aufzustellen oder eine Sicherheitsdebatte anzustoßen», sagte die Vorsitzende des Fanbündnisses, Helen Breit, der Deutschen Presse-Agentur.

Kein neues Phänomen

Dass Gegenstände Richtung Spielfeld geworfen werden, ist im Fußball keinesfalls neu. Zu Saisonbeginn sorgten die Bilder von Borussia Dortmunds Jude Bellingham für Erheiterung – der BVB-Jungstar hatte beim Dortmunder Jubel einen Becher gefangen und sich den Inhalt ins Gesicht geschüttet. Der Werfer oder die Werferin dürfte eine andere Intention gehabt haben.

«Es fliegen immer wieder Gegenstände Richtung Spielfeld.» Es gebe «zu viele «Einzelfälle»», sagte Gittelmann, der nach einem kurzen Krankenhausbesuch am Samstag wieder zu Hause war. «Es fliegen immer wieder Gegenstände Richtung Spielfeld.» Auf die Frage, wie diesen Fällen entgegentreten werden könne, antwortete er: «Eine flächendeckende Null-Toleranz-Politik mit einem klar definierten und für alle im Vorfeld bekannten und harten Strafmaß sollte ausgearbeitet werden.»

Der VfL Bochum war sich der Problematik schon vor dem Vorfall im Westduell gegen die Borussia bewusst. Noch am Freitag vor der Partie vor 25.000 Zuschauern wurde ein gemeinsam mit einem Sponsor produzierter Videoclip zu dem Thema auf den Stadionleinwänden gezeigt. Das Bier sei nicht zum Werfen, sondern zum Trinken da, sagt VfL-Kapitän Anthony Losilla in dem Clip. Das verstanden nicht alle.

In dem vergleichbaren Fall war 2011 die Partie FC St. Pauli gegen den FC Schalke 04 beim Stand von 2:0 für die Gäste abgebrochen worden, nachdem Schiedsrichter-Assistent Thorsten Schiffner ebenfalls von einem Becher getroffen worden war. Das Spiel wurde 2:0 für Schalke gewertet, St. Pauli musste die erste Partie der Zweitliga-Saison 2011/12 mindestens 50 Kilometer außerhalb Hamburgs austragen.

Von Thomas Eßer, dpa
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