Kleiner Plausch nach dem Spiel zwischen Bundestrainer Hans-Dieter Flick und Spaniens Trainer Luis Enrique. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Robert Michael/dpa)

Als die Wüstensonne in Katar wieder gnadenlos vom Himmel brannte, hatte Hansi Flick seine spanischen WM-Lehren längst gezogen. Die Nationalspieler bekamen nach dem kollektiven Kraftakt beim 1:1 gegen den unbezwingbaren Angstgegner die versprochene Auszeit mit Freundinnen und Familien am Pool.

Im Luxusquartier der Fußball-Nationalmannschaft herrschte – wie auch in der kritischen Heimat – nach dem Zoff der bis zum späten Ausgleichstor des neuen Mittelstürmer-Helden Niclas Füllkrug total vermurksten WM-Auftaktwoche wieder eine positive Turnier-Grundstimmung.

«Mentalität», «Entschlossenheit», «Selbstverständnis». Das waren die Worte, die der spürbar erleichterte Flick immer wieder wählte. Mit Füllkrug den richtigen Joker gesetzt zu haben, war der entscheidende Zug gegen die auch am Bundestrainer aufgekommenen WM-Zweifel.

Mit neuem Grundvertrauen will Flick das für das Turnier-Schicksal entscheidende Rendezvous mit dem Retter Costa Rica am Donnerstag (20.00 Uhr/ARD und MagentaTV) angehen. Die ganze Wahrheit in der noch zarten Turnier-Euphorie war nämlich auch, dass der WM-K.o. ohne den unerwarteten Sieg der Mittelamerikaner gegen Japan trotz des folgenden großen Kraftaufwands gegen Spanien fix gewesen wäre.

«Fußball ist ein nacktes Ergebnisspiel»

Jetzt muss für Deutschland als Schlusslicht der Gruppe E ein Sieg gegen Costa Rica her, um einen zweiten frühen Peinlich-K.o. nach Russland 2018 zu vermeiden. «Wenn wir weiterkommen, wird der Punkt der Knackpunkt sein», sagte Thomas Müller zum Spanien-Remis. Der Turnier-Veteran warnte aber auch: «Die History wird im Rückblick gemacht und nicht in der Vorausschau. Fußball ist ein nacktes Ergebnisspiel.»

Mit nur einem Wort setzte Müller den neuen Duktus in der DFB-Blase hoch im Norden von Katar. «Together», schrieb er bei Twitter auf Englisch. «Zusammen.» Diese in einem WM-Kader anzunehmende Selbstverständlichkeit war in den Tagen vor dem Spanien-Showdown nicht spürbar gewesen. Ein Hauen und Stechen wurde nur mit geringem Einsatz dementiert. Jetzt soll alles wieder gut sein. «Wir sind eine Mannschaft. Wir haben, auch wenn es anders zu lesen ist, ein gutes Miteinander», wurde Flick am Montag auf der DFB-Homepage zitiert.

Garniert wurde diese Aussage von den für den Bundestrainer, dem doch gerade noch der Zu-Nett-Vorwurf anhaftete, ungewöhnlich martialischen Worten: «Es sind Krieger auf dem Platz, die mit Herz spielen. Wenn wir diesen Aufwind mitnehmen – und wir noch mehr Selbstvertrauen bekommen – dann ist viel möglich.»

Füllkrug brachte den nötigen Tor-Punch

Was wirklich möglich ist, das bleibt auch nach dem großen Kampf gegen Spanien noch im Vagen. Aus seinem Geflüster mit Luis Enrique nach dem Schlusspfiff machte Flick ein Geheimnis. «Was wir da besprochen haben, das sage ich dann, wenn es so weit ist», sagte der Bundestrainer über das Tête-à-Tête mit seinem von ihm hochgeschätzten spanischen Kollegen. Flicks Lächeln legte die Vermutung nahe, dass sich beide für ein Wiedersehen am 18. Dezember im Lusail Stadion verabredet hatten – dem Tag des WM-Endspiels.

Flick ist natürlich bewusst, dass der erste Punktgewinn gegen Spanien bei einem großen Turnier seit 1994 nur die schlimmsten WM-Befürchtungen erstmal vertreiben konnte. Die ganz hohen Ziele liegen nach einer intensiven Partie im Al-Bait Stadion von Al-Chaur aber noch in weiter Ferne. «Wir wissen, dass wir erst den ersten Schritt gemacht haben. Aber wir wollen natürlich gucken, dass wir im nächsten Spiel gegen Costa Rica für uns einfach die Voraussetzung schaffen, dass wir in die K.o.-Phase kommen», betonte der 57-Jährige.

Flicks eigener großer Beitrag waren seine im Gegensatz zum 1:2 gegen Japan geglückten Auswechslungen. Kapitän Manuel Neuer leistete sich den Versprecher, dass man das Spiel von der Bank aus «gewonnen» habe. So fühlte sich das Remis nicht nur für den Rekord-Schlussmann nach seinem 18. WM-Einsatz an, sondern wohl auch für viele der 17 Millionen TV-Zuschauer in der Heimat – ein Höchstwert für die Katar-WM. Fakt war: Der Bremer Füllkrug brachte den nötigen Tor-Punch und wurde dafür von der staunenden Weltpresse gefeiert. Neuer meinte: «Er ist als Typ super – und als Spieler auch.»

Auch nach zwei Spielen noch ohne Sieg

Leroy Sané brachte als weiterer Flick-Joker nach seiner Knieblessur das nötige Tempo mit. Und ebenso wichtig: Durch die Umstellung konnte Jamal Musiala ins Zentrum rücken und endlich mit seiner ganzen Leichtigkeit wirbeln. Diese drei Offensivoptionen wird Flick nun auch für seine Costa-Rica-Startelf ganz bestimmt gründlich in Betracht ziehen.

«Leroy hat auf den Platz gebracht, was er kann, was wir an ihm schätzen», sagte Flicks Assistent Marcus Sorg. Wie auch der an der Rippe verletzte David Raum soll der Münchner am Donnerstag fit sein für das Duell gegen Costa Rica, sagte Co-Trainer Danny Röhl.

Leidtragender könnte Ilkay Gündogan sein, für den Flick im Dreikampf der zentralen Alpha-Tiere mit Joshua Kimmich und Leon Goretzka dann wieder einmal keinen Platz mehr hätte. Doch auch der Mittelfeldvirtuose schloss sich dem neuen Wir-Gefühl schon an. «Ich glaube, dass wir jetzt im Turnier sind, wo wir sein wollten und es jetzt nicht mehr um den Einzelnen geht, sondern um die Mannschaft.»

Müllers Warnung hallt aber nach. Auch vor vier Jahren in Russland schien nach der Auftaktniederlage gegen Mexiko (0:1) und dem emotionalen Mutmacher gegen Schweden (2:1) im zweiten Spiel Joachim Löws WM-Fahrplan mit Verspätung aufzugehen. Das Ende kam dann gegen Südkorea (0:2). In Katar steht Deutschland erstmals in seiner ruhmreichen und mit vier Titeln gekrönten WM-Historie auch nach zwei Spielen noch ohne Sieg da.

Der gerade noch rechtzeitige deutsche Stimmungsumschwung wurde international mit den bekannten Stereotypen registriert. «An einem Abend, an dem wir erwartet hatten, den Deutschen zum «Auf Wiedersehen» zu winken, haben sie einfach ihre uralte Widerstandsfähigkeit gezeigt», schrieb das englische Boulevard-Blatt «The Sun. Die italienische La Republica notierte: «Unter den Gesetzen der Fußball-Weltmeisterschaft gibt es allen voran einen bewährten Klassiker: Gib Deutschland niemals auf.»

Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa
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