Ein Hüne an Statur. Die Arme ausgestreckt als klares Signal: Da geht’s lang! So steht Antonio Rüdiger auf dem Platz beim Training der Nationalmannschaft. Der 29-Jährige ist ein Anführer, daran gibt es keine Zweifel.
Mit dem in der deutschen Fußball-Seele seit Franz Beckenbauers Zeiten fest verankerten Begriff des Abwehrchefs tut sich der 29-Jährige vor seinem 50. Länderspiel am Dienstag (20.45 Uhr/ARD) in den Niederlanden aber schwer.
«Jeder Spieler sollte jederzeit mit seinen Nebenmännern so viele Absprachen treffen wie nur möglich. Dafür braucht es nicht den einen zentralen Abwehrchef», sagte Rüdiger vor dem Abflug nach Amsterdam im «Kicker». Flache Hierarchien Selbstverantwortung im Sinne des Teams, so ist Rüdiger in der DFB-Elf sozialisiert worden.
Im Gespann mit dem derzeit verletzten Noch-Münchner und Bald-Dortmunder Niklas Süle bildet er das defensive Wunsch-Herz von Bundestrainer Hansi Flick für die Weltmeisterschaft in Katar. Die Grenze, wer von beiden der Boss ist, ist ohnehin fließend.
Flick «total happy»
«Was ich sagen kann, ist, dass ich total happy bin, dass wir so einen Spieler in unseren Reihen haben», sagte Flick über den Chelsea-Profi vor dessen Jubiläum. «Er will immer den Sieg.» Mit Kapitän Manuel Neuer im Tor bilde Rüdiger «eine Achse», sagte der Bundestrainer.
In der Johan Cruyff Arena soll Rüdiger den erwarteten Oranje-Wirbel stoppen. Flick setzt auf das Tempo des Modellathleten. «Wenn man diesen Speed hat, ist es immer sehr, sehr gut», sagte der DFB-Chefcoach. Kürzlich wurde Rüdiger zum schnellsten Spieler in der englischen Premier League erklärt. 36,7 Stundenkilometer wurden gestoppt. Eine hundertstel Sekunde schneller als Liverpools Stürmer Mohamed Salah.
Sein Debüt im Nationaltrikot feierte Rüdiger noch als Verteidiger des VfB Stuttgart beim 0:0 gegen Polen kurz vor der WM im Mai 2014. Drei Jahre später gehörte er fest zur jungen DFB-Elf, die den Confed Cup gewann. Die WM 2018 war für Rüdiger dann mit nur einem Einsatz auch eine persönliche Enttäuschung. Ihn hatte Flicks Vorgänger Joachim Löw als Mann der Zukunft im Blick, als er Mats Hummels und Jérôme Boateng vor drei Jahren geräuschvoll aussortierte.
Geduld zahlt sich aus
«Da hatte ich nie ein Problem, mich geduldig hinten anzustellen», sagte Rüdiger zum Konkurrenzkampf. Im ersten Pflichtspiel nach der hitzig diskutierten Demission der Ex-Weltmeister stand Rüdiger wie möglicherweise auch am Dienstag mit Matthias Ginter und Thilo Kehrer auf dem Platz. In Amsterdam gab es im März 2019 ein verheißungsvolles 3:2. Aber erst jetzt ist der Generationenwechsel in der deutschen Abwehr unter Flick endgültig vollzogen.
«Über seine Qualität als Verteidiger, da braucht man nicht zu diskutieren. Die ist absolut top», lobt Flick. «Der Toni hat mit seinem 50. Siel morgen mit die meiste Erfahrung im Team. Auch von seiner Art ist er einer, der sehr viel redet und Anweisungen gibt», meinte Kollege Kehrer.
Bei Chelsea half Rüdiger nach einer schwierigen Phase der Trainerwechsel zu Thomas Tuchel. Unter dem deutschen Coach wurde der gebürtige Berliner bei den Blues wieder Stammspieler. Er gewann die Champions League und die Club-WM.
Und doch ist die Zukunft beim durch die Sanktionen gegen Eigentümer Roman Abramowitsch taumelnden Club in London ungewisser denn je. Rüdigers Vertrag läuft im Sommer aus. Alternativen gibt es reichlich. Eine Internetsuche über mögliche Interessenten zeigt viele Treffer: Paris Saint-Germain, Real Madrid, Juventus Turin, Bayern München. Abwehrchefs sind bei Europas Top-Clubs heiß begehrt. Und Rüdiger ist auch noch ablösefrei zu haben.