WM-Halbfinale 1970: Der deutsche Verteidiger Karlheinz Schnellinger (l) muss nach der 3:4-Biederlage gegen Italien von Gegner Tarcisio Burgnich (r) getröstet werden. (Urheber/Quelle/Verbreiter: dpa/dpa)

Manche Sätze wird man sein Leben lang nicht mehr los. Bei Karlheinz Schnellinger sind es sogar nur zwei Wörter. «Ausgerechnet Schnellinger, werden die Italiener sagen», kommentierte ARD-Reporter Ernst Huberty im WM-Halbfinale 1970 gegen Italien die Grätsche zum 1:1, mit der der Linksverteidiger in der 91. Minute dem DFB-Team die Verlängerung rettete. Und schob fassungslos noch einmal hinterher: «Ausgerechnet Schnellinger.»

Zum Ende des Jahrhundertspiels im Aztekenstadion von Mexiko-Stadt stand es dann doch 4:3 für Italien, wo Schnellinger damals schon sein Geld verdiente. Dort ist der gebürtige Rheinländer – aus Düren, halbe Strecke zwischen Aachen und Köln – auch geblieben. Immer noch lebt er in der Nähe von Mailand. Am Ostersonntag feiert er dort seinen 85. Geburtstag: mit Frau, drei Töchtern, italienischen Schwiegersöhnen und vier Enkeln.

Ausgerechnet dieses eine Tor in 47 Länderspielen

Allein schon dieses Tores wegen gehört Schnellinger zu den Legenden des deutschen Fußballs. Zudem ist «Carlo il Biondo» («Der blonde Karl»), wie er in Italien hieß, bis heute einer der erfolgreichsten Auslandsprofis. Aber das Leben in der Ferne brachte es mit sich, dass man ihn zu Hause weniger zur Kenntnis nahm als andere. «Mir kommt es immer so vor, als ob ich in Deutschland Ausländer bin – und in Italien auch», sagt er nun der Deutschen Presse-Agentur. «Aber das ist in Ordnung so.»

Mit den Mitspielern von damals hat er keinen Kontakt mehr. Auch bei der Beerdigung von Franz Beckenbauer war er nicht dabei. Von den 13 Männern, die damals auf dem Platz standen, leben noch sieben. Aber das Tor hat er natürlich in Erinnerung: Einwurf Sigi Held, Flanke von Jürgen Grabowski, er am Fünf-Meter-Raum mit beiden Beinen voraus, Landung auf dem Hosenboden, aber Ball drin. In 47 Länderspielen war das sein einziges Tor. Am Ende wurde das DFB-Team in Mexiko Dritter.

Seinerzeit zuverlässig wie ein «Volkswagen»

Dass Schnellinger auch in einem anderen Klassiker auf dem Platz stand, bei der 2:4-Niederlage im WM-Finale gegen England 1966, und bei der WM 1958 in Schweden Vierter wurde, mit Fritz Walter damals noch, wissen die wenigsten. Sein letztes Länderspiel bestritt er 1971, gegen Albanien. Als die Nationalmannschaft kurz darauf 1972 und 1974 Europa- und Weltmeister wurde, hieß der linke Verteidiger schon Paul Breitner.

Dafür heimste Schnellinger mit seinen Vereinsmannschaften kräftig Titel ein: Im letzten Jahr vor der Bundesliga, 1962, wurde er Meister mit dem 1. FC Köln. Anschließend wechselte er nach Italien, zunächst zum AC Mantua, dann zu AS Rom und schließlich zum AC Mailand. Mit den Rot-Schwarzen wurde er dreimal italienischer Pokalsieger, einmal Meister, zweimal holte er den Europapokal der Pokalsieger und einmal die Trophäe der Landesmeister.

Wegen seiner Zuverlässigkeit hatte der «blonde Karl» in Mailand seinerzeit noch einen anderen Spitznamen: «Volkswagen». An seiner Seite spielte oft ein Italiener, der kürzlich ebenfalls 85 wurde: der spätere Bayern-Trainer Giovanni Trapattoni. Aber, wie war das eigentlich, von wegen «ausgerechnet Schnellinger» – haben ihm die Italiener das Tor damals wirklich übel genommen? «Nie. Da hat mir kein Einziger jemals Vorwürfe gemacht. Schließlich haben die auch gewonnen.»

Schnellinger über DFB: «Die haben mich vergessen»

Zum Ende seiner Karriere, mit 35, war Schnellinger dann doch noch in der Bundesliga dabei: Die Saison 1974/75 begann er bei Tennis Borussia Berlin, aber es lief nicht gut. Nach 19 Spielen machte er Schluss und ging zurück nach Italien. Seither, erzählt Schnellinger, habe er nie wieder Fußball gespielt. «Ich hatte die Schnauze voll. Und Altherrenmannschaften waren auch nicht so mein Ding.» Später verdiente er in der Catering-Branche sein Geld.

Nach Deutschland kommt er heute nur noch selten. «Zuletzt war ich vor ein oder zwei Jahren da. Ich kenne da kaum noch jemand.» Auch auf den DFB ist er nicht besonders gut zu sprechen. «Das geht doch drunter und drüber bei denen. Das ist nur noch ein großes Geschäft», sagt er. «Die haben mich vergessen.» Auch für die EM in diesem Sommer will er nicht nach Deutschland zurück. «Das werde ich mir am Fernseher anschauen», sagt Schnellinger. «Zuhause.» Also in Italien.

Von Christoph Sator, dpa
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