Gefeierte Portugiese: Gonçalo Ramos hatte gegen die Schweiz einen Gala-Tag. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Tom Weller/dpa)

Portugals WM-Entdeckung Gonçalo Ramos schwärmte vor den TV-Kameras mit glänzenden Augen gerade über seine «magische Nacht», da verließ der zum Bankdrücker degradierte Cristiano Ronaldo fast wortlos die Arena.

Nach dem eindrucksvollen 6:1 im Achtelfinale gegen die Schweiz waren die Rollen so klar verteilt wie zuvor auf dem Spielfeld. Der 21 Jahre alte Dreifachtorschütze Ramos wurde gelobt, bejubelt und gefeiert – etwas, das sonst Ronaldo mit großer Selbstverständlichkeit für sich beansprucht. Doch der Superstar war nach der ersten Joker-Rolle für Portugal in einem Turnierspiel seit 2008 nur Nebendarsteller.

Fast ein wenig schüchtern absolvierte Ramos seinen ersten Auftritt auf der großen WM-Bühne und beantwortete als Mann des Abends die Fragen der Reporter. «Natürlich Ronaldo», sagte er über seine Vorbilder. «Robert Lewandowski und Zlatan Ibrahimovic.» Der Schwede Ibrahimovic ist bei dieser WM nicht dabei. Polens ausgeschiedenen Kapitän Lewandowski (2 Tore) und Ronaldo (1) hat Ramos schon jetzt überflügelt. «Nicht mal in meinen kühnsten Träumen hatte ich gedacht, dass ich in einer WM- K.o.-Runde in der Startelf stehen würde», sagte er vor der nahenden Viertelfinal-Prüfung gegen Marokko grinsend. Für Portugal könnte es der Anfang einer neuen Ära für ein wie befreit spielendes Ensemble sein.

Gefasster Ronaldo

Ronaldo ertrug seine ungewohnte und ungewollte Rolle als Ersatzspieler nach außen mit Fassung, rang sich sogar hier und da ein Lächeln ab – und würdigte auf Instagram später die «Luxus-Vorstellung eines Teams voller Talent und Jugend». Doch bei den Jubelfeiern nach Portugals erstmaligem WM-Viertelfinal-Einzug seit 2006 verschwand der 37-Jährige schnell in die Kabine. Vorher ließ er sich alleine von den Fans feiern, die lautstark seine Einwechslung gefordert hatten. Ein wegen Abseits nicht gegebenes Tor und den Ärger von Freundin Georgina Rodriguez über die Ersatzrolle – viel mehr blieb von Ronaldos Auftritt nicht.

Fast genau fünf Jahre nach dem Gewinn seines fünften und bislang letzten Ballon d’Or war die schmerzhafte Degradierung zugunsten des 16 Jahre jüngeren Ramos für Ronaldo der vorläufige Tiefpunkt. Bei Manchester United wurde er zuerst auf die Bank verbannt und dann aus dem Verein geworfen, die Suche nach einem neuen Club gestaltet sich bislang schwierig. Einzig der saudische Club Al-Nassr scheint ernsthaftes Interesse zu haben, eine Einigung dementierte Ronaldo selbst. Und auch bei dieser WM überzeugte der mehrmalige Weltfußballer sportlich kaum und legte sich zudem mit Trainer Fernando Santos an.

Nach dem Zoff um Ronaldos Auswechslung gegen Südkorea setzte Santos ein starkes Zeichen und vertraute Youngster Ramos den Startelf-Platz seines Kapitäns an. Das Team dankte es ihm mit einer offensiven Gala-Vorstellung. Ohne Ronaldo spielten die Portugiesen mit Ramos, Top-Vorbereiter Bruno Fernandes (28), João Félix (23) und Bernardo Silva (28) schnell, effizient und sehenswert nach vorne. Der 39 Jahre alte Ersatzkapitän Pepe führte die Mannschaft an und schrieb als ältester Torschütze in einem K.o.-Spiel WM-Geschichte.

Ramos macht’s wie Klose

Ein besonders Endrunden-Kapitel gab es auch für Ramos, der als erster Spieler seit Miroslav Klose 2002 bei seinem WM-Startelfdebüt dreimal traf. «Beeindruckend», titelte «A Bola». Dabei hatte der Angreifer bei seiner Nominierung in den WM-Kader noch nicht einmal ein Länderspiel bestritten, das Debüt folgte kurz vor dem Turnier. Seinen steilen Aufstieg verdankt Ramos auch der starken Saison mit Benfica Lissabon unter Coach Roger Schmidt, wo ihm in elf Ligaspielen neun Tore gelangen. «Er ist einer der besten Trainer, mit denen ich je gearbeitet habe», sagte Ramos. «Ich habe mich als Spieler und Mensch weiterentwickelt.»

Seine «magische Nacht» zelebrierte der Youngster anschließend mit Dutzenden Bildern auf Instagram, Santos lobte die Dynamik und Zweikampfstärke seines Stürmers. «Ich habe den Spieler ausgewählt, der am besten zu meiner Strategie passt», begründete der Trainer seinen Verzicht auf Ronaldo. «Wir wollten diesen Fluss haben. Wir haben sehr entschlossen gespielt und als Einheit.» Ob seine Entscheidung gegen Ronaldo auch für das Viertelfinale gegen Marokko am Samstag gilt, ließ der Coach offen: «Das werden wir sehen», sagte er. Immerhin in der Heimat ist die Frage schnell beantwortet: In einer Umfrage von «A Bola» stimmten über 90 Prozent für einen weiteren Startelf-Einsatz von Ramos.

Miriam Schmidt, Nils Bastek, Christian Kunz und Christoph Lother, dpa
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