Mann des Abends: Lionel Messi (r) feiert Elmeterkiller Emiliano Martinez. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Martin Rickett/PA Wire/dpa)

Emiliano Martínez stieg auf das Geländer, die Mannschaft stand symbolträchtig feiernd hinter ihm, die Fans flippten auf den Rängen der Luxus-Bombonera von Lusail aus.

Es kommt selten vor, dass in einer Mannschaft mit einem Lionel Messi in berauschender Titelform ein anderer zum noch größeren Helden aufsteigt. Am denkwürdigen Freitagabend in Katar war es so weit. «Ein Superheld», schrieb «Clarín». «Dibu», so der Spitzname des Karriere-Spätstarters, der vor anderthalb Jahren erst sein Auswahldebüt gefeiert hatte, sei der «Held der Nacht», meinte «La Nacion» und «Pagina12» pries die «riesigen Hände» von Martínez.

Zwei Elfmeter parierte er, das reichte bei der Entscheidung vom Punkt nach einer dramatischen, einer hitzigen und einer weiteren historischen Partie zwischen Argentinien und den Niederlanden mit den meisten Gelben Karten jemals in einem WM-Spiel. 

«Pure Emotionen»

«Das waren pure Emotionen», sagte Keeper Martínez. «Wir haben das für 45 Millionen Argentinier gemacht, für das ganze Land», dem es wirtschaftlich so schlecht gehe. «Ein kleines bisschen Freude, das ist wunderschön.» Martínez, zehn Jahren praktisch immer nur auf Vereins-Leihstatus in England unterwegs, weiß, wovon er redet. «Ich habe viel Scheiße durchgemacht», sagte er laut «Olé» einmal. 

Eine Karriere, die wie ein negativer Gegenentwurf zu der von Messi wirkt, der als erster zum 1,95 Meter großen Torhüter rannte. Messi wusste trotz der eigenen famosen Leistung, wem er es zu verdanken hatte, dass Argentinien im Halbfinale am kommenden Dienstag gegen Kroatien steht und er nur noch zwei Siege von der finalen Krönung seiner mit bereits mit sage und schreibe 41 Titeln geschmückten Laufbahn entfernt ist. Der Wichtigste aber fehlt halt noch.

«Was ich ihm genau gesagt habe, weiß ich nicht», sagte Messi dem argentinischen Sportblatt «Olé». «Wir haben ihm vertraut, wir wussten, dass er im Elfmeterschießen für uns da ist. Dass er ein Biest ist.» 

Denn dieser Emiliano Martínez, geboren in Mar del Plata in einfachen Verhältnissen als Sohn eines Hafenarbeiters und einer Hausangestellten, hat es schon mal gemacht. Er hat schon mal Messi auf dem Weg zu einem Titeltraum maßgeblich in die nächste Runde gerettet. Es war im Sommer vergangenen Jahres bei der Copa América im Halbfinale gegen Kolumbien. Damals hielt er sogar drei Elfmeter. 

Berühmt wurde Martínez nicht nur, weil es erst sein siebtes Länderspiel war und er zum Helden wurde, sondern weil er den Schützen auch ständig Sprüche entgegenschleuderte, wie diesen: «Schau, wie ich dich esse, Bruder.» 

Weil damals wegen der Corona-Pandemie keine Zuschauer im Stadion waren, waren Martínez‘ verbale Verunsicherungsscharmützel bestens zu hören. Auch wegen der Maßnahmen gegen das Virus hatte er seine neu geborene zweite Tochter mit seiner portugiesischen Ehefrau erstmal gar nicht sehen können. Nach dem Titeltriumph im Finale von Rio gegen Brasilien war es endlich soweit.

Dramaturgie des Copa-Triumphes passt zur Katar-WM

In Lusail waren fast 90.000 Fans, und fast alle in himmelblau und weiß. Zu hören waren vor allem der Jubel und die Gesänge. Und doch passt die Dramaturgie des Copa-Triumphes zur WM in Katar.

Diese Mannschaft zeigt Willen, Messi ist der Anführer, der Megastar und der Stimmungsindikator, der bei dieser Jahresend-WM zum Ende seiner Karriere hin besser denn je im Dress des zweimaligen Weltmeisters spielt. «Diese Leidenschaft, diese Freude – er will es wirklich», schrieb Deutschland Ex-Weltmeister Bastian Schweinsteiger bei Twitter.  

Messi hatte ein Tor famos vorbereitet, das zweite gegen die Niederlande per Strafstoß selbst erzielt. Nach einem 2:2 in der regulären Spielzeit und Verlängerung hatte er im Elfmeterschießen seinen Versuch ebenfalls verwandelt. «Ganz Argentinien wünscht ihm den WM-Titel und ich bin mir sicher, viele andere auch», schrieb Schweinsteiger, der unter anderem 2014 im Finale von Rio Messis Argentinier mit der deutschen Mannschaft bezwungen hatte. 

Doch in dieser Nacht von Lusail in diesem beeindruckenden Stadion, das stimmungsmäßig zur Filiale der legendären Bombonera in Buenos Aires wird, machte Messi in seinem 1001. Profispiel sein zehntes WM-Tor und zog mit Argentiniens Rekordmann Gabriel Batistuta gleich. Gegen Kroatien wird Messi WM-Rekordspieler Lothar Matthäus einholen und er könnte diesen im persönlichen Idealfall im Finale dann auch noch mit dem Titelgewinn überholen. 

«Seine beste Version», schrieb die Zeitung «Clarín» nach dem irren Viertelfinal-Krimi. Dass van Gaal Messi mit Aussagen provoziert hatte, dieser würde sich bei Nicht-Ballbesitz der Argentinier nicht groß am Spiel beteiligen, schien diesen nur noch mehr anzutreiben. So wie auch Keeper Emiliano «Dibu» Martínez, der auf van Gaals Vorankündigung, dass die Niederlande einen Vorteil beim Elfmeterschießen hätten, unmissverständlich konterte: «Er sollte besser die Klappe halten.» 

Jens Marx, Sebastian Stiekel und Miriam Schmidt, dpa
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