Bundestrainer Julian Nagelsmann sprach über seine Pläne für 2024. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Besinnlich war an dieser Weihnachtsbotschaft von Julian Nagelsmann gar nichts. Und sie klingelte manchem Fußball-Nationalspieler rund um Mitternacht ganz bestimmt mächtig in den Ohren.

Zur Rettung seiner durch die schmerzhaften November-Niederlagen gegen die Türkei und in Österreich in Gefahr geratenen EM-Mission setzte der Bundestrainer im Scheinwerferlicht des ZDF-«Sportstudios» nur sechs Monate vor dem Anpfiff des Heimturniers in bislang nicht gekannter Weise «alles auf Null». Einschneidende Maßnahmen schon im März

Konkret: Joshua Kimmich nach langem Zaudern auf rechts in der Viererkette, Manuel Neuer im März wieder ins Tor, Ilkay Gündogan von der Sechs nach vorn ins Zentrum, Kai Havertz nach einem missglückten Experiment nie mehr als Außenverteidiger und dann auch noch ein mögliches EM-Comeback von Altmeister Toni Kroos als nächstem Vertreter der starken und wachsenden Ü30-Fraktion. Das waren die von Nagelsmann überraschend offen verkündeten Personalien.

Dabei wollte der 36-Jährige doch angeblich nicht über Namen, sondern über Strukturen sprechen, wie er zu Beginn eines jetzt schon denkwürdigen Studio-Auftritts verkündete. Der Plan im Advent war offensichtlich ein ganz anderer, so freimütig plauderte Nagelsmann 181 Tage vor dem EM-Start und dem Eröffnungsspiel gegen Schottland die diversen Personalien aus.

Grundsätzlich gilt zudem: Mit den EM-Krachertests in Frankreich (23. März) und gegen die Niederlande (26. März) zählt jetzt erstmal defensive Stabilität und nicht mehr der Luftikus-Fußball. «Wir hatten bei den letzten Spielen einfach einen Tick zu viel offensiv denkende Spieler und zu wenig defensiv denkende», sagte Nagelsmann. Die Kernbotschaft des jungen Bundestrainers war aber sinngemäß ohnehin: Ich bin der Boss, ich entscheide – und ich entscheide richtig. Fußball-Deutschland soll sich keine Sorgen machen. Die Heim-EM ist bei mir in guten Händen.

«Ich wusste, dass es schwierig werden wird, dass es eine große Aufgabe werden wird – und dass es eine sehr reizvolle Aufgabe ist, und wir es schaffen können. Dass wir es alle gemeinsam meistern können, die Mannschaft, das Trainerteam», sagte Nagelsmann wörtlich. Der Talk am Mainzer Lerchenberg machte aber auch klar, noch fremdelt der Bundestrainer mit den Besonderheiten des Amtes. Das täglich aktive Handeln als Club-Coach fehlt ihm. Ein möglicher Kaderumbau ist der einzige Vorteil des DFB-Jobs. Und von diesem will Nagelsmann nun Gebrauch machen. Also, was bedeuten die personellen Maßnahmen?

Der Fall Kimmich

Der Bayern-Profi war vorgewarnt. Natürlich habe er mit Joshua Kimmich vor seinem TV-Auftritt gesprochen, versicherte Nagelsmann. Sonst hätte den 28-Jährigen die Nachricht kalt erwischt. Mit der Rückversetzung von der Sechs auf den Job als rechter Außenverteidiger erfährt Kimmich eine gefühlte Degradierung. Doch die Maßnahme macht für alle Sinn. Die Position ist seit Langem schlecht besetzt, Kimmich kann sie spielen. 2020 gewannen die Bayern mit ihm so die Champions League. «Durch eine kleine Anpassung, es ist keine 180-Grad-Wandlung, ist auch Josh ein Kandidat auf dieser Position», sagte Nagelsmann. Das prominente Vorbild: EM-Turnierdirektor Philipp Lahm beim WM-Sieg 2014.

Der Kroos-Plan

106 Spiele für Deutschland. Immer noch Leistungsträger bei Real Madrid. Meinungsstark und taktisch ohnehin Weltklasse. Warum sollte Nagelsmann auf einen wie Toni Kroos verzichten? Die von Real-Verteidiger Antonio Rüdiger aufgebrachte Comeback-Idee reift wohl schon länger bei Nagelsmann. Ein Stabilisator in der defensiven Zentrale wird ohnehin dringend gesucht. «Interessant» sei der Gedanke, räumte Nagelsmann ein und geriet ins verbale Straucheln, als es um die Interpretation ging, ob es bereits Gespräche gab. «Man muss sich ja über alle Spieler, die einen deutschen Pass haben, das ist ja glaube ich mein Job, Gedanken machen», sagte er. Tendenz: Kroos ist im März erstmals seit 2021 wieder dabei.

Die Gündogan-Rolle

Nach einem Freifahrtschein für den Kapitän klang das nicht mehr. Doch Nagelsmann will Ilkay Gündogan künftig auf jeden Fall weiter vorne sehen, als einer von künftig drei Zehnern. «Da hat er einfach ein bisschen mehr Freiheiten. Er ist ein Spieler mit Torgefahr und einem guten Gespür», sagte Nagelsmann. Im Umkehrschluss: Auf der Sechser-Position sind defensive Typen gefragt. Kroos womöglich als Stratege, Pascal Groß als passendes Pendant. Und namentlich gelobte Charaktere wie Robert Andrich oder Grischa Prömel als Backups. Über Leon Goretzka sprach Nagelsmann nicht.

Der Torwart-Zweikampf

Nach diesen Worten tut Marc-André ter Stegen womöglich nicht nur der Rücken weh. Denn auch ohne ganz klare Aussage wurde deutlich: Manuel Neuer ist im Zweikampf um die Nummer eins wieder in der Pole Position. Wäre im März EM-Anpfiff, stünde der Rekordschlussmann bei seinem achten großen Turnier in Serie sicherlich im Tor. «Wenn alles so weitergeht, wie es aktuell den Anschein hat Richtung März, dann läuft es darauf hinaus», sagte Nagelsmann vorerst nur zu Neuers Rolle nach dann über einem Jahr Länderspielpause bei den nächsten Testspielen. Ter Stegen muss zunächst die Folgen einer Rücken-Operation überwinden.

Die vielen Schönspieler

Kai Havertz erhielt Absolution. Gut habe er als linker Außenverteidiger gespielt. Aber er wird das nie wieder tun. Das Experiment sei «vorbei», sagte Nagelsmann. Der Arsenal-Profi rückt durch die neue Defensiv-Maxime wieder vor in das Überangebot der kreativen Offensiven. Dort ist durch die Vorversetzung von Gündogan noch weniger Platz. Die Jungstars Florian Wirtz und Jamal Musiala müssen auch um Stammplätze kämpfen. Leroy Sané ist nach seiner Roten Karte in Wien erstmal gesperrt. Wer spielt, hänge immer auch vom Gegner ab, sagte Nagelsmann. Für Julian Brandt und Serge Gnabry könnte es Richtung EM sogar knapp werden mit einem Kaderplatz.

Die mögliche EM-Elf (Alter zum Turnierstart):

Neuer (38) – Kimmich (29), Rüdiger (31), Hummels (35), Gosens (29) – Groß (32), Kroos (34) – Sané (28), Gündogan (33), Musiala (21) – Füllkrug (31)

Von Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa
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