Auf den ersten Blick ist es das Duell des ständigen Gewinners mit dem ewigen Verlierer: Frankreichs Fußball-Nationaltrainer Didier Deschamps war als Spieler Welt- und Europameister – und ist einer von nur drei Menschen, die Weltmeister als Spieler und Trainer wurden.
Er holte als Spieler 15 und als Coach zehn Titel. Für Englands Gareth Southgate stehen zwei Ligapokalsiege als Profi in der Vita. Das war es. Im WM-Viertelfinale am Samstag (20.00 Uhr MEZ/ZDF und Magenta TV) will der 52-Jährige einen Grundstein dafür legen, dass sich das sehr bald ändert.
Die Ursache des unterschiedlichen Bildes beider in der Öffentlichkeit, vor allem auch in der jeweiligen Heimat, liegt sicher in der Spielerzeit begründet. Deschamps war quasi einer der ersten modernen Sechser. Ein Arbeiter, der Superstar Zinedine Zidane den Rücken freihielt, und doch auch ein Techniker, Kapitän und Boss des Teams. Spitzname: «Le General». Als Bild seiner Profi-Karriere blieb haften, wie er nach der Heim-WM 1998 als erster Franzose den WM-Pokal in die Luft reckte.
Southgate war ein eisenharter, aber manchmal ungelenk wirkender Verteidiger. Die Szene, die von ihm haften blieb: Der verschossene Elfmeter 1996 im Halbfinale gegen Deutschland, wegen dem das Fußball-Mutterland bei der Heim-EM scheiterte. «Meinen Elfmeter verschossen zu haben, werde ich niemals abschütteln», sagte Southgate noch zu Trainer-Zeiten. Als er kurz nach dem Fehlschuss in den Flitterwochen auf Bali einen Mönch traf, soll dieser ihn mit den Worten begrüßt haben: «Du bist es, nicht wahr? England. Verschossener Elfmeter.» Und seine Mutter fragt ihn: «Warum nicht einfach draufgeballert, Junge?»
Ähnliche Arbeitsweisen
Als Coach hatte er durchaus Erfolg mit dem Nationalteam. Bei der WM 2018, dem ersten Turnier nach seinem Amtsantritt, kam er ins Halbfinale. Bei der EM drei Jahre später sogar ins Endspiel. Dass dies im Elfmeterschießen verloren ging, wurde ihm angelastet, weil er die jungen Jadon Sancho und Marcus Rashford ganz spät in der Verlängerung einwechselte. Beiden versagten im Elfmeterschießen die Nerven.
Von seiner Arbeitsweise her ist er nach Ansicht vieler seinem französischen Kollegen aber nicht unähnlich. Das französische Portal «sofoot» nannte Southgate schon mal den «Deschamps aus Watford». Beide sind in Bezug auf die Arbeit eher pragmatisch, aber lassen auch Freiheiten auf und neben dem Feld. Beide sind keine klassischen Menschenfänger, pflegen aber ein gutes Verhältnis zu den Spielern, ohne ihnen zu nahe zu sein. «Ich bin nicht da, um ihr Freund zu sein oder ihr Vater, großer Bruder oder Großvater – ja, auch das könnte ich bei einigen sein, wenn ich früh angefangen hätte», sagte der in Katar sichtlich um Lockerheit bemühte Deschamps (54) dieser Tage.
Besondere Generationen
Was ihre Arbeit so schwer zu bewerten macht, ist die Tatsache, dass sie besondere Generationen betreuen. War der WM-Titel von Deschamps sein Meisterstück oder das EM-Aus im Vorjahr im Achtelfinale sein Versagen? Ist die Mannschaft so gut wie 2018 gesehen oder so kompliziert wie 2021? Und liegt es an Southgate, dass England bei den letzten beiden Turnieren so weit kam? Oder an ihm, dass in beiden Fällen am Ende kein Titel stand?
Der langjährige Arsenal-Coach Arsène Wenger und der frühere England-Profi Jürgen Klinsmann äußerten sich als Köpfe der Technischen Studiengruppe der FIFA in Katar jedenfalls sehr positiv über den Coach der Three Lions. «Er hat tolle Ideen und aus der WM und der EM wichtige Schlüsse gezogen», sagte Wenger. Und Klinsmann erklärte: «Ich sehe einen großen Fortschritt. Sie sind im Kommen.»
Southgate dürfte normalerweise mindestens bis zur EM 2024 in Deutschland im Amt bleiben, so lange läuft aktuell auch sein Vertrag. Der von Deschamps läuft aus. Einige Medien hatten schon berichtet, eine Übernahme von Zidane sei beschlossene Sache. Verbandspräsident Noel Le Graët stellte aber klar, er wünsche sich einen Verbleib des Trainers. Denn: «Wenn man das Glück hat, einen Didier Deschamps zu haben, klopft man nicht an die nächste Tür.»