Martina Voss-Tecklenburg umarmte am Mannschaftsbus ihren Ehemann innig. Der Kuss von Hermann Tecklenburg ging nur auf die Stirn der Bundestrainerin, da diese einen Mundschutz trug. Schon direkt nach dem Abpfiff war der erste Blick der 54-Jährigen hoch auf die Tribüne geschweift, wo der Bauunternehmer saß.
Kurz darauf feierten die deutschen Fußballerinnen mit Mallorca-Hits und Tänzen in der Kabine ihren nächsten Coup bei der Europameisterschaft in England. «Ich bin heute einfach unfassbar stolz», sagte Voss-Tecklenburg nach dem beeindruckenden 2:0 gegen Spanien.
Die Euphorie jetzt mitnehmen
«Es war ein sehr emotionales Spiel, mehr Power, mehr Energie können wir nicht auf den Platz bringen», sagte Torhüterin Merle Frohms in einer ersten Reaktion, erklärte aber nach dem Duschen: «Wir wollen die Euphorie jetzt natürlich mitnehmen. Ich freue mich auf alles, was da noch kommt, weil wir gefühlt zu allem in der Lage sind.»
Auf dem Weg zum erhofften neunten Titel kann der Rekord-Europameister auch dank des 4:0 zum Auftakt gegen Dänemark nun im Viertelfinale den starken Engländerinnen aus dem Weg gehen und wird am 21. Juli erneut im Londoner Stadtteil Brentford gegen Norwegen oder Österreich antreten. Danach könnte Frankreich der Halbfinal-Gegner sein.
Vor 16.037 Zuschauern im Brentford Community Stadium, darunter DFB-Direktor Oliver Bierhoff, trafen am Dienstagabend Klara Bühl vom FC Bayern (3. Minute) und Kapitänin Alexandra Popp (37.) vom VfL Wolfsburg. Unermüdlich hatte das Team den Spanierinnen immer wieder den Ball abgejagt und so die Kurzpasskünstlerinnen zermürbt.
«Diese Intensität müssen wir beibehalten»
Auf dem Mannschaftsfoto nach dem Spiel kniete Popp inmitten von lachenden Gesichtern und zeigt ein falsch herum angezogenes Trikot mit der Nummer 7 und dem Namen Schüller: Bayern-Torjägerin Lea Schüller war am Tag vor dem zweiten Gruppenspiel positiv auf das Coronavirus getestet worden. Sie könnte im Viertelfinale aber wieder dabei sein, wenn sie freigetestet und fit ist.
Ihre Stellvertreterin Popp feierte ihren Treffer mit einem Sprint in Richtung Bank – und einer Geste aus einem Steven-Spielberg-Klassiker mit dem berühmten Satz: «E.T. nach Hause telefonieren». Die 116-fache Nationalspielerin erklärte später: «Das war ein Zeichen für meine Familie und Freunde.» In der Kabine ertönten dann Hits wie «Schwarze Natascha» und «Let it be» – «in so einer peppigen Version», wie Außenverteidigerin Giulia Gwinn erklärte.
Als es dann auf Mitternacht zuging, da schlug Voss-Tecklenburg vor dem Stadion ein paar Mal energisch auf die Hupe des Mannschaftsbusses und lehnte sich aus der Tür: «In zehn Sekunden ist Abfahrt. Wer nicht da ist, läuft!» Mit einem breiten Grinsen zählte die Bundestrainerin runter. Ihre Spielerinnen standen teilweise noch bei Interviews – es gab ja so viel erzählen.
«Wir haben brutal verteidigt. Wir haben wirklich mit Mann und Maus alles reingelegt, was ging», sagte Popp und sprach von einem «EM-Zauber». Ihre Wolfsburger Kollegin Svenja Huth, ganz stellvertretende Kapitänin, mahnte: «Das Wichtigste ist, dass wir komplett bei uns bleiben.» Lena Oberdorf, die Abräumerin im Mittelfeld, betonte: «Diese Intensität müssen wir beibehalten. Ich glaube, dass wenn wir nur einen Schritt weniger machen, dann wird das nichts.»
Schweinsteiger: «Hut ab, @DFB_Frauen!»
Derweil entdecken in der Heimat immer mehr den Frauenfußball: 8,02 Millionen Menschen sahen in der ARD das Spanien-Spiel. Nach Angaben des Senders vom Mittwoch ergab das einen Marktanteil von sehr starken 34,3 Prozent. Auch berühmte ehemalige Fußballer schwärmen plötzlich von den deutschen Fußballerinnen.
«Hut ab, @DFB_Frauen! Top verteidigt und top effektiv! Glückwunsch!», schrieb Bastian Schweinsteiger, der Weltmeister von 2014, auf Twitter. Hinter den Satz «You can do it» (Ihr könnt es schaffen) setzte der 37-Jährige einen Pokal. «Pure Effizienz», twitterte sein früherer Bayern-Kollege Oliver Kahn. «Was für eine taktische Leistung der DFB-Frauen.»
Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz schaltete sich in die Dauerdebatte um Equal Pay, also gleiche Bezahlung, ein. Der SPD-Politiker twitterte: «Wir haben 2022. Frauen und Männer sollten gleich bezahlt werden. Das gilt auch für den Sport, besonders für Nationalmannschaften. Spanien hat da die Nase vorn.»
Dass dieses Thema etwas komplexer ist und selbst die deutschen Nationalspielerinnen und Voss-Tecklenburg immer wieder darauf verwiesen haben, dass ja die Männer wesentlich mehr Einnahmen generieren, würde Bierhoff dem Kanzler gerne sagen. «Mich wundert jetzt ein bisschen die Aussage. Ich lade ihn gerne mal ein. Dann kläre ich ihn ein bisschen besser über die Zahlen auf», sagte Bierhoff, der später noch lange am Teambus stand und in viele strahlende Gesichter schaute, der ARD.
Dazu ist Scholz nach Angaben von Regierungssprecher Steffen Hebestreit vom Mittwoch in Berlin bereit: «Natürlich wird er sich auch gerne mit Herrn Bierhoff darüber unterhalten.» Für den Turniererfolg würden die DFB-Frauen jeweils 60.000 Euro erhalten. Ein Nationalspieler hätte im Falle des Titelgewinns bei der EM 2021 400.000 Euro kassiert.