Gareth Southgate sah aus wie fast immer: Im feinen Anzug, die Hände vor sich gefaltet, der Blick ruhig und ernst.
Während sich Fans und Medien auch nach dem souveränen Einzug ins Achtelfinale der Fußball-EM den Kopf über das Potenzial der englischen Mannschaft zerbrechen, wirkte der Nationalcoach zufrieden. Southgate würde das nie sagen, aber seine Botschaft nach dem 1:0 gegen Tschechien hätte sein können: Schaut her, mein Plan geht auf! England spielt bieder, aber England verliert keine Spiele. Und jetzt soll das Turnier für die Three Lions erst richtig losgehen. «Das Gute für uns ist: Wir verbessern uns immer noch», sagte Southgate.
Aber wozu sind diese Engländer wirklich fähig? Der Gruppensieg garantiert ihnen, dass sie auch ihr Achtelfinale am nächsten Dienstag im heimischen Wembley-Stadion spielen dürfen. Dann wird es ernst. «Jetzt spielen wir gegen Weltmeister Frankreich, Europameister Portugal, unseren alten Feind Deutschland oder, ähm, Ungarn», titelte das Boulevardblatt «The Sun» am Mittwoch. Tatsächlich wartet nun höchstwahrscheinlich ein Hochkaräter auf die Briten. Sollte Deutschland seine Gruppe am Mittwochabend nach dem Spiel gegen Ungarn als Zweiter abschließen, wäre der K.o.-Kracher gegen die Engländer perfekt.
Saka spielt stark
«Wir spielen jetzt gegen viel stärkere Teams. Aber wir können Selbstvertrauen aus dieser Gruppe mitnehmen, wir haben kein einziges Tor kassiert», sagte Flügelstürmer Bukayo Saka, der gegen die Tschechen zum Spieler des Spiels ernannt wurde. «Egal, wer kommt, wir können mit Selbstbewusstsein ins Spiel gehen. Zumal wir in Wembley mit unseren Fans spielen.» Saka steht sinnbildlich für das riesige Offensivpotenzial der Engländer. Gerade mal 19 Jahre ist der Profi des FC Arsenal alt, gegen Tschechien ließ Southgate ihn erstmals bei dieser EM starten. Supertalent Phil Foden saß da nicht mal auf der Bank. BVB-Profi Jadon Sancho bekam immerhin seine ersten EM-Minuten.
Saka, Sancho, Foden oder Torschütze Raheem Sterling: Die Three Lions sind gerade auf den offensiven Flügeln herausragend besetzt. Und im Zentrum gibt es noch einen gewissen Harry Kane, auch wenn der Kapitän und Topstürmer bislang nicht sein bestes Turnier erlebt. Doch trotz all dieser Einzelkönner fallen die Engländer bislang eher mit Minimalisten- als mit Spaßfußball auf. Am Dienstagabend gegen die Tschechen hatte ein Anhänger in Wembley ein Plakat mit seiner Wunschaufstellung gezeigt: Die Offensivkräfte Sancho, Kane, Foden, Mason Mount und Jack Grealish standen darauf alle in der Startelf. Southgate weiß um diese Sehnsucht. Aber sie beeinflusst ihn nicht.
Starke Verteidigung als Grundlage
Der 50-Jährige will keine Mannschaft, die Spektakel bietet, sondern eine, die im Turnier funktioniert. Southgate hat genau beobachtet, wie Portugal 2016 den EM-Titel gewonnen hat und Frankreich zwei Jahre später die Weltmeisterschaft: nicht mit Spaßfußball, sondern mit oft trockenen Siegen. Seine bisher vielleicht größte Leistung ist darum eine eher weniger beachtete. Während alle Welt über das Angriffstalent der Engländer redet, steht die vor der EM als eher mäßig eingeschätzte Defensive erstaunlich stabil. «Wollen wir, dass England bei der Euro Spaß macht? Oder wollen wir, dass sie gewinnen?», fragte das Sportportal «The Athletic» am Mittwoch.
Die Abwehr bildet die Grundlage für große Erfolge, genau das scheint Southgates Credo. Die Viererkette um ihren wiedergenesenen Defensivboss Harry Maguire ist noch ohne Gegentor, zudem hält Torhüter Jordan Pickford bislang stark. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Englands Abwehrreihe von Kroatien (1:0), Schottland (0:0) und auch Tschechien bislang kaum auf die Probe gestellt wurde. Im Achtelfinale steht nun die erste schwere Prüfung an. Southgate weiß das. Und er ist bereit.