Wann, wenn nicht jetzt? England kann, England will – und England steht bei der Fußball-Europameisterschaft vor der größten Titelchance seit vielen Jahren.
Mit lauten Tönen halten sich die Three Lions vor ihrem EM-Start am Sonntag (15.00 Uhr/ARD und Magenta TV) in London gegen Kroatien zwar zurück. Doch angesichts von bis zu sechs Heimspielen inklusive Finale im Wembley-Stadion peilt der seit mehr als einem halben Jahrhundert titellose Mitfavorit mindestens das Halbfinale an.
«Jetzt ist wahrscheinlich die beste Chance, die wir je hatten, um etwas Großes in einem Turnier zu erreichen», sagt Außenverteidiger Reece James von Champions-League-Sieger FC Chelsea. Seit dem WM-Triumph 1966 wartet das als Mutterland des Fußballs gerühmte England auf Titel.
Neuauflage des WM-Halbfinals von 2018
Doch schon zum Start der Pokal-Mission im eigenen Land ist das vor allem offensiv hochdekorierte Team stark gefordert. Das Duell mit Luka Modric & Co. ist die Neuauflage des WM-Halbfinals von 2018, als Kroatien die Engländer mit 2:1 nach Verlängerung besiegt hatte. Seitdem sucht der Vize-Weltmeister auch wegen der Rücktritte von Führungsspielern wie Mario Mandzukic oder Ivan Rakitic zwar noch nach seiner WM-Form. Doch Kroatien zählt trotz einiger Stimmungsdämpfer seit dem Russland-Coup zumindest zum Kreis der Geheimfavoriten.
«Wir haben die Qualität, das Talent und das Selbstbewusstsein, um jeden Gegner schlagen zu können», sagte Trainer Zlatko Dalic. «Wir werden versuchen, die Magie der WM in Russland wieder aufleben zu lassen.»
Trotzdem starten die Engländer nicht nur angesichts der 22 500 Fans im Fußball-Tempel Wembley mit Vorteilen in die Partie. Abwehrchef Harry Maguire kehrte wenige Tage vor dem EM-Aufakt nach langer Verletzungspause ins Training zurück. Luxusprobleme plagen Trainer Gareth Southgate aber vor allem in der Offensive. Kapitän Harry Kane ist im Sturmzentrum gesetzt. Doch wen lässt der Coach neben dem Torjäger wirbeln? Borussia Dortmunds Jadon Sancho und Manchester Citys Supertalent Phil Foden? Aber was wäre dann mit Raheem Sterling oder Manchester Uniteds Marcus Rashford? Englands Angriffsreihe zählt zu den besten des Turniers.
Titel-Sehnsucht auf der Insel
Und genau das schürt Erwartungen des in den vergangenen Jahrzehnten chronisch gescheiterten Mitfavoriten. Der auf der Insel ob seines eloquenten und äußerst taktvollen Auftretens so beliebte Southgate weiß um die Titel-Sehnsucht der Fans, auch wenn es dem Ex-Profi nicht unbedingt gefällt. «Ich denke, wir müssen realistisch sein, wir müssen mit dieser Erwartungshaltung leben», sagte der Coach.
Southgate selbst denkt in größeren Mustern und damit an mehr als den Gewinn des Pokals. Es gehe etwa darum, wie er und seine Spieler sich auf und neben dem Platz verhalten, schrieb er in einem offenen Brief an die Nation auf der Website «The Player’s Tribune». «Wie wir die Menschen zusammenbringen, wie wir inspirieren und vereinen.»
Diese Herausforderung stellt sich den Engländern bereits vor dem Anpfiff des Turniers. Weil die Three Lions auch bei ihren EM-Testspielen mit dem Kniefall Zeichen gegen Rassismus setzten, erhielten sie Buhrufe einiger Fans, denen die Geste nicht gefällt. Viele andere Zuschauer dagegen beklatschten die Aktion. Das trübt die Stimmung im eigenen Land kurz vor dem Turnierstart, obwohl die sportlichen Voraussetzungen gut sind.
Rebic: «England ist einer der Favoriten»
Eine Niederlage gegen Kroatien könnte sich als weiterer Dämpfer für die englische EM-Euphorie entpuppen. «England ist einer der Favoriten auf den Turniersieg», sagte der Ex-Frankfurter Ante Rebic. Nach der Halbfinal-Niederlage 2018 werde der Gegner seine Kroaten diesmal sicher nicht unterschätzen.
«Das erste Spiel ist definitiv wichtig, aber es nicht das entscheidende», sagte der 27-Jährige vom AC Mailand. Ähnlich sieht es auch der von der U21-Nationalmannschaft nachgereiste Domagoj Bradaric. «Das entscheidet nicht alles, wir haben drei Spiele», sagte der 21-Jährige, der mit OSC Lille französischer Meister wurde. «Aber wenn es gut los geht, dann ist alles möglich.»
Die voraussichtlichen Aufstellungen:
ENGLAND: 1 Pickford – 2 Walker, 5 Stones, 15 Mings, 21 Chilwell – 8 Henderson, 4 Rice, 19 Mount – 17 Sancho, 9 Kane, 20 Foden
KROATIEN: 1 Livakovic – 2 Vrsaljko, 21 Vida, 5 Caleta-Car, 25 Gvardiol – 11 Brozovic – 9 Kramaric, 10 Modric, 8 Kovacic, 4 Perisic – 14 Rebic
Schiedsrichter: Daniele Orsato (Italien)