Die Begegnung mit dem jungen Franz Beckenbauer im Wembley-Stadion war für Bobby Charlton einigermaßen verwirrend.
«Ich hatte mein ganzes Leben lang darauf gewartet, in einem WM-Finale zu spielen», erzählte die englische Fußball-Ikone einst. Und dann sollte er den bislang herausragenden Deutschen in Manndeckung nehmen – ausgerechnet er, der Torjäger. «Aber als der Anpfiff ertönte, kam Franz Beckenbauer direkt zu mir – er hatte die gleiche Anweisung erhalten», sagte Charlton.
Die beiden, die im heutigen Fußball-Zirkus als Superstars bezeichnet würden, neutralisierten sich im für Deutschland bitteren Endspiel 1966 weitestgehend, und Beckenbauer sagte später: «England konnte 1966 nur gegen uns gewinnen, weil Bobby Charlton ein kleines bisschen besser war als ich.» Am Samstagmorgen starb Charlton im Kreise seiner Familie im Alter von 86 Jahren. Nicht nur England, sondern die gesamte Fußball-Welt trauert.
«Ich muss sagen: Neben Pelé war Bobby Charlton der größte Fußballer, den wir auf der Welt gehabt haben», sagte der frühere Bundestrainer Berti Vogts der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Er hatte den in England als Nationalheld verehrten Profi von Manchester United unter anderem im WM-Viertelfinale 1970 getroffen, das Deutschland 3:2 nach Verlängerung gewann. «Ich habe nie einen so feinen Menschen wie ihn kennengelernt», sagte Vogts.
Schweigeminute beim Ligaspiel
Am United-Stadion Old Trafford, wo eine überlebensgroße Statue von Charlton steht, legten Fans am Wochenende Blumen und Kränze nieder. Beim Ligaspiel von Man United am Samstagabend wurde der Ikone mit einer Schweigeminute gedacht. «Wir werden ihn nie vergessen, niemand im Fußball wird das», sagte sein früherer Mitspieler Geoff Hurst, der im WM-Finale ’66 drei der vier englischen Treffer erzielt hatte, darunter das legendäre Wembley-Tor in der Verlängerung, das – je nach Interpretation – doch keines war. Charlton «sei ein großartiger Kollege und Freund gewesen».
In England prägte der 1994 zum Ritter geschlagene Fußballer eine Generation – und deren Söhne. «Alles begann mit Sir Bobby», schrieb der frühere Man-United-Star David Beckham bei Instagram und stellte dazu ein Kindheitsfoto von sich mit Charlton. Beckhams Vater war glühender Verehrer des United-Spielers, deshalb trägt sein Sohn «Robert» als zweiten Vornamen. Ex-United-Kapitän Rio Ferdinand schrieb, Charlton sei Ikone und Legende, Gary Neville bezeichnete ihn als «großartigsten englischen Fußballspieler und besten Botschafter für Manchester United».
Für United stand Charlton von 1956 bis 1973 in 758 Pflichtspielen auf dem Platz, er erzielte 249 Tore. Der Offensivspieler war Schlüsselspieler der Busby Babes, der legendären United-Mannschaft von Trainer Matt Busby, die unter anderem 1968 den Europapokal gewann. Dass es so kommen konnte, bezeichnete Charlton immer wieder als großes Glück – auch wegen 1958.
Beim Flugzeugunglück der United-Mannschaft am Flughafen München-Riem, bei dem 23 Menschen ums Leben kamen, war Charlton einer der 21 Überlebenden. «Ich hatte einfach Glück, dass ich auf dem richtigen Platz saß», sagte er später. «Es war einfach ein Alptraum.» Der Münchner Vereinspräsident Herbert Hainer sagte am Samstag: «Der FC Bayern wird das Andenken dieses einzigartigen Fußballers und Menschen ewig in Erinnerung behalte.» Sir Bobby sei «ein Geschenk für alle, die das Schöne am Fußball lieben» gewesen.
Kane: «Er ist eine Legende»
Auch Jahrzehnte nach seinem Karriereende war Charlton mit 49 Toren Rekordtorschütze der Three Lions, die seit 1966 auf einen Titel warten. Überholt wurde er bislang nur von Wayne Rooney (53) und Harry Kane (61). «Er ist eine Legende», sagte Bayern-Profi Kane am Samstag bei Sky, sein Nationaltrainer Gareth Southgate lies mitteilen: «Der Welt des Fußballs ist vereint in ihrer Trauer.»
Das Privileg, «ihn bei mehreren Gelegenheiten zu treffen, hat mir gezeigt, welchen persönlichen Stolz und welche Emotionen er empfand, weil er England repräsentiert hat», sagte Southgate. «Und es hat für mich einfach seinen Ruf als absoluter Gentleman des Fußballs bestätigt.» Vor Englands Länderspiel gegen Malta am 17. November will der Verband des Idols im Wembley-Stadion gedenken.
«Er war ein großartiger Mensch und wahrer Gentleman, den der FC Bayern sehr geschätzt hat», sagte Münchens langjähriger Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge. Der ehemalige Bayern-Profi und deutsche Rekordnationalspieler Lothar Matthäus sagte, Charlton sei «wie Uwe Seeler für Deutschland ein Vorbild für alle Fußballfans in England» gewesen. «Er war nicht nur auf dem Platz ein Vorbild, sondern auch außerhalb.»
Lineker emotional
Der britische Premierminister Rishi Sunak teilte mit, er sei traurig über Charltons Tod. «Er hat einen Platz in der Geschichte als einer der größten Spieler des Sports und war sehr beliebt», schrieb Sunak bei X, vormals Twitter. FIFA-Präsident Gianni Infantino würdigte Charlton als «Fußball-Legende, deren Einfluss auf den Fußball Generationen überspannt» habe.
Sehr emotional äußerte sich auch Ex-Nationalspieler und TV-Moderator Gary Lineker. «Für mich war er Englands großartigster Spieler aller Zeiten», sagte Lineker beim Sender BBC Radio 5 Live über Charlton. «Ich hatte das Glück, ihn spielen zu sehen, als ich noch ein kleiner Junge war. Er war einer meiner Helden, ein Held für viele. (…) Er war einzigartig. Egal, wohin man auf der Welt reist, selbst wenn die Menschen die Sprache nicht sprechen, kennen sie zwei Wörter – Bobby Charlton.»