Die deutsche Nationalmannschaft zeigte in Ungarn eine enttäuschende Leistung. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Hansi Flick eierte nicht rum. Er machte sich an die Arbeit. Nach seiner unmissverständlichen Rückschritt-Warnung bat der Bundestrainer am sonnigen Sonntag in Budapest zu Training, aktiver Erholung und vor allem ganz viel kritischer Analyse.

Aus dem Allesgewinner Flick droht zum Ende der ersten Saison als DFB-Chefcoach der Sieglos-Hansi zu werden. Das Momentum hat sich mit dem 1:1 in Ungarn, dem vierten Remis in Serie, endgültig gedreht. Und schlimmer noch: Die großen WM-Ziele scheinen fünf Monate vor dem Turnier-Anpfiff in Katar nur ein Wunschtraum zu sein.

Gegen Italien geht es am Dienstag (20.45 Uhr/ZDF) in Mönchengladbach um die Grundstimmung rund um die Fußball-Nationalmannschaft. Dolce Vita in der Sommerpause oder Zweifel und Skepsis? Nicht umsonst will Manuel Neuer im zweiten Nations-League-Duell mit dem Europameister innerhalb von zehn Tagen unbedingt noch «eine Rakete zünden».

Nur Neuer Weltklasse

Nur der Kapitän und Torwart genügt derzeit dem deutschen Weltklasse-Anspruch. Beim gemeinsamen Teamabend in einem Restaurant in Budapest musste Neuer seine Kollegen auf die nächsten Aufgaben einschwören.

«Vom Ergebnis her und von der Art und Weise, wie wir das Spiel angegangen sind, war es für uns ein Rückschritt», sagte Flick. Wumms! Die Worte waren eindeutig, aber eben auch angemessen. Beunruhigender als das Resultat war die lasche Spielweise der DFB-Elf gegen einen auf laufen und kämpfen limitierten Gegner der Fußball-Mittelklasse.

«Wir haben einfach ohne Überzeugung aufgebaut, waren zu schleppend im Spielaufbau. Wir haben es dem Gegner relativ einfach gemacht, kompakt zu stehen», kritisierte Flick schonungslos. Aber warum? War es nur die viel beklagte Müdigkeit zum Saisonende, die Fixgrößen wie Joshua Kimmich, Leon Goretzka oder Kai Havertz die Leichtigkeit nimmt? Oder fehlt es doch noch grundsätzlich an Klasse und Konstanz? Flick wollte sich da nicht öffentlich festlegen.

Bierhoff beschwichtigt

Im allseits bekannten Spiel zwischen gutem und bösen Cop waren die Rollen zwischen Flick und DFB-Direktor Oliver Bierhoff klar verteilt. Flick mahnte und forderte, Bierhoff beschwichtigte. «Letztendlich sehe ich das Ganze trotzdem positiv. Wir haben kein Spiel verloren. Wir haben uns mehr vorgenommen, aber müssen gegen Italien jetzt natürlich zu Hause den nächsten Schritt machen», sagte der ziemlich sanfte Bierhoff.

Jetzt schon WM-Gefahr? Nein! Meint Bierhoff. «Unabhängig davon, wie die Ergebnisse sind, wissen wir natürlich, dass wir immer noch im September noch einmal Zeit haben zu arbeiten und dann der richtige Druck – egal, wie wir dahin gehen – in Katar steigen wird», sagte der DFB-Direktor.

Flick fand Negativpunkte in allen Mannschaftsteilen abseits des sakrosankten Neuer. «Es ist meistens so, wenn ein Torwart herausragend ist, dann stimmt ein bisschen was im Spiel nicht», sagte der Bundestrainer. Der Abwehr fehlte es ohne den geschonten Chef Antonio Rüdiger an Stabilität. «Klar muss man auch sagen, dass wir in der Defensive schon das Eine oder Andere zugelassen haben, was einfach nicht sein darf», monierte Flick.

Überzeugung fehlt

Der Offensive, in der Timo Werner als Lonesome-Cowboy in der Spitze wieder eine Leistung jenseits der Ansprüche lieferte, fehlte es an Dynamik und Entschlossenheit. Es sei augenfällig, «dass bei uns komplett in der Mannschaft die Überzeugung fehlt», verteilte Flick einen Kollektiv-Tadel. Bierhoff fühlte als ehemaliger Top-Stürmer mit den Anhängern mit. «Jeder Fan bekommt graue Haare, wenn man die Chancen nicht nutzt.» Flick meinte aber, man habe sich diesmal auch zu wenige Möglichkeiten erarbeitet.

Wie beim 1:1 gegen Italien gelang diesmal durch Jonas Hofmann (9. Minute) immerhin der schnelle Ausgleich nach Rückstand durch Zsolt Nagy (6.). Im Vor-WM-Sommer tut sich aber auch viel im Flick-Kader. Das einst als Moped-Sturm gefeierte Trio aus Werner, Leroy Sané und Serge Gnabry nimmt sich seine Krisenauszeit und muss im Fall von Sané sogar um die Katar-Teilnahme kämpfen. «Wir helfen ihm, aber er muss sich natürlich auch selber helfen», sagte Bierhoff. In Hofmann und Jamal Musiala haben sich zwei Konkurrenten für die Außenbahnen in den Vordergrund gespielt.

Ziel: Mit Sieg in den Urlaub

Flick ließ keinen Zweifel, dass gegen Italien die Wiedergutmachung gelingen muss. «Das wird auch nicht einfach. Aber trotzdem erwarten wir von der Mannschaft, dass sie da alles reinlegt und sich dann mit einem Sieg in den Urlaub verabschiedet», sagte der Bundestrainer. Er weiß genau, wie schnelllebig der Fußball ist, die Stimmung sich halt auch wieder ins Positive wandeln kann.

Mit einem Sieg könnte sogar noch der erste Platz in der Gruppe 3 der Liga A erobert werden, den Flick wegen der sportlich wertvollen Finalteilnahme im Übergangsjahr 2023 in der Endabrechnung im September unbedingt erreichen will. Bei einer Niederlage gegen die Squadra Azzurra droht allerdings eine Sommerpause auf einem Abstiegsrang der Nations League. Schon jetzt ist die Siegesserie von acht Spielen zum Flick-Start nur noch eine vage Erinnerung.

Von Arne Richter und Jan Mies, dpa
Folge uns

Von