Bestens gelaunt zurück im DFB-Training: Thomas Müller (l) - Toni Kroos freut es auch. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Beim Start der Wembley-Vorbereitung mit dem wieder voll mitmischenden Offensiv-Anführer Thomas Müller suchte Joachim Löw den intensiven Kontakt zu seinen Engländern im EM-Kader.

Väterlich legte der Bundestrainer im sonnigen Herzogenaurach den Arm auf die Schulter von Kai Havertz, als er mit dem schon zweifachen Turniertorschützen entspannt plaudernd vom Fitness-Pavillon zum angrenzenden Trainingsplatz schlenderte.

Auf dem akkurat gemähten Rasen redete Löw dann länger mit Havertz‘ Chelsea-Kollege Timo Werner, der die englischen Fußballer ebenfalls bestens aus den Begegnungen in der Premier League kennt. England gegen Deutschland – da geht es im Vorfeld um viel Historie, aber für den Achtelfinal-Showdown am kommenden Dienstag (18.00 Uhr/ARD und MagentaTV) in London zählt dann doch eher aktuelles Insiderwissen.

Müller einsatzbereit

Das besitzt auch Serge Gnabry, der einst für den FC Arsenal spielte und mit besten Tor-Erinnerungen in zwei Champions-League-Partien mit dem FC Bayern (vier Treffer beim 7:2 gegen Tottenham, zwei beim 3:0 gegen Chelsea) nach London zurückkehrt. «Bis jetzt ist es mir sehr gut gelungen jedesmal», sagte der Angreifer, der aber mehr auf die Gegenwart blickt: «Noch kein EM-Tor geschossen zu haben, ist keine Wunschvorstellung. Hoffentlich gelingt mir gegen England ein Tor.»

Die beste Wochenendnachricht lieferte aber Müller: Der 31-Jährige tummelt sich wieder ohne erkennbare Probleme auf dem Platz. Das rechte Knie zierte nicht einmal mehr ein stützendes Tape. «Wenn ich Probleme hätte, hätte ich nicht trainiert», berichtete der Angreifer: «Die Kapselverletzung behindert mich nicht, die können wir ad acta legen.»

«Es entscheidet ein Stück die Tagesform»

Müller sieht Deutschland vor einer großen mentalen und charakterlichen Prüfung. «Wir müssen uns den Respekt und das Aufschauen zum deutschen Fußball erst wieder erarbeiten», sagte der 31 Jahre alte Nationalspieler in der ARD. Bisher habe sein Team bei dieser Europameisterschaft – wie auch Kontrahent England – unterschiedliche Leistungen angeboten. «Wie bei allen Mannschaften auf diesem Niveau ist es so: Es entscheidet ein Stück die Tagesform», erklärte Müller.

«Wir müssen uns darauf einstellen, dass es auch mental eine Prüfung wird. Aber wir wollen natürlich auch immer wieder in diese englische Turnierwunde reinstechen. Wir wollen sie unsicher machen», sagte Müller bei Magenta TV in Anspielung auf die Fußball-Historie. Die Three Lions scheiterten bei großen Turnieren immer wieder vorzeitig, auch gegen Deutschland. «Die Engländer versuchen, sich ein bisschen Selbstbewusstsein einzureden», bemerkte der Offensivspieler des FC Bayern München und betonte: «Ich sehe uns absolut in der Lage, England zu schlagen – auch wenn die gut sind.»

Zwar wisse sein Team, «dass wir noch nicht perfekt Fußball gespielt haben» bei diesem Turnier, meinte Müller. Doch der mit einem späten 2:2 gegen Ungarn gerade noch abgewendete Vorrunden-K.o. ändere nichts am Glauben an die eigene Stärke: «Wir haben schon Selbstvertrauen. Wir spüren, dass wir absolute Lust darauf haben, so eine Leistung wie gegen Portugal nochmal rauszuhauen.» In der Gruppe hatte das deutsche Nationalteam Titelverteidiger Portugal mit 4:2 besiegt.

Müller mit guten Erinnerungen an Wembley

Es kann und soll in Wembley also wieder müllern. «Wir haben Lust, wir wollen den nächsten Schritt machen», sagte der Turnier-Veteran. Beim 4:1 im letzten Wettbewerbsspiel gegen die Engländer bei der WM 2010 in Südafrika glänzte der damals 20 Jahre junge Müller gleichfalls im Achtelfinale als zweifacher Torschütze. Das beflügelt ihn: «Wir versuchen, uns im Fußball-Geschäft an Erinnerungen festzuklammern.»

Auch an Wembley hat Müller beste Erinnerungen: 2013 triumphierte er in der Kultstätte mit dem FC Bayern im Champions-League-Finale gegen Borussia Dortmund. Gegen England würde der 31-Jährige auch gerne endlich sein überhaupt erstes EM-Tor erzielen: «Aber das steht in meiner Tagesordnung nicht auf Platz eins.» Ganz oben steht nicht nur auf Müllers Agenda der Vorstoß ins Viertelfinale der EURO.

Nach dem Müßiggang des Vortages eröffnete Löw die England-Vorbereitung exakt am 25. Jahrestag des deutschen Halbfinalerfolges von Wembley. Am 26. Juni 1996 war es Andreas Köpke, der im Elfmeterschießen den entscheidenden Schuss des heutigen englischen Nationaltrainers Gareth Southgate abwehren konnte. Der heute 59 Jahre alte Torwartcoach Köpke bolzte am Samstag Ball für Ball aufs Tor von Manuel Neuer und sprach mit Blick auf die Wembley-Rückkehr von «der Ruhe vor dem Sturm».

Bundestrainer vor Taktikfragen

Löws Hauptaufgabe besteht darin, nach der wechselhaften Gruppenphase den personellen und taktischen Schlüssel für den Viertelfinaleinzug zu finden. Ringt er sich dazu durch, Joshua Kimmich wie in der zweiten Hälfte gegen Ungarn wieder ins Zentrum zu verschieben?

«Egal, wo Jo spielt, er ist immer ein Gewinn für uns. Er ist kampfstark, technisch stark, hat immer ein Auge nach vorne. Er hat viele Skills», sagte Müller und verfiel dabei kurz ins Englische, als er Kimmichs Kompetenzen (skills) aufzählte. Die zweite Schlüsselfrage lautet: Bringt Löw erstmals im Turnier Leon Goretzka von Anfang an?

Löw wirkt erholt

Einen Tag durchzuschnaufen tat übrigens auch dem Bundestrainer gut, wie er vor dem Anpfiff des Trainings bestätigte. Der 61-Jährige wirkte ebenfalls erholt nach dem schlauchenden Nervenkrimi gegen die Ungarn. Löw kennt den Schlüssel, um gegen England zu bestehen. «Wenn wir das abrufen, was wir können, dann sind wir stark. Wenn wir Dinge nicht so umsetzen, kriegen wir Schwierigkeiten», betonte er.

Der turniererfahrene Müller bemerkte zu Schwankungen und Mängeln. «Man wünscht sich, dass eine Mannschaft jedes Spiel überzeugend gewinnt und dominiert. Aber das funktioniert nicht in der heutigen Zeit.» Fußball ist Ergebnissport und oftmals ein Wechselbad. «Ein Spiel knapp zu gewinnen, ist keine Schande», bemerkte Müller.

Den Ablaufplan vor dem ersten K.o.-Spiel musste der DFB-Stab um Oliver Bierhoff derweil überarbeiten. Löw wollte unbedingt am Montagabend im Wembley-Stadion trainieren lassen. Da die UEFA jedoch zur Schonung des Rasens in der Finalarena ein Trainingsverbot aussprach, wird die finale Übungseinheit doch noch im fränkischen Quartier abgehalten.

Von Klaus Bergmann, Arne Richter und Jens Mende, dpa
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