Laut singend zog David Alaba seinen Rollkoffer ins Teamhotel auf dem Seefelder Plateau. Aus dem Mannschaftsbus wummerte bei der Rückkehr aus Bukarest mehr als eine Stunde nach Mitternacht der Austropop-Klassiker «Weus’d a Herz host wia a Bergwerk».
Mit dem «ein oder anderen Getränk», wie Hoffenheims Florian Grillitsch ankündigte, ließen die neuen österreichischen Fußball-Helden die geschichtsträchtige Nacht ausklingen – und wurden von einer ganzen Nation gefeiert.
«Historisch!», titelte die «Kronen Zeitung» am Dienstagmorgen nach dem ersten Einzug einer ÖFB-Auswahl ins EM-Achtelfinale. «JAAAAAAAA! Sie haben es geschafft, 43 Jahre nach Cordoba wieder an einem 21. Juni Geschichte geschrieben!»
Das Märchen soll anders als beim sagenumwobenen 3:2-Sieg über Deutschland bei der WM 1978 für die rot-weiß-roten Kicker noch nicht vorbei sein. Bereits kurz nach dem 1:0 gegen die Ukraine fieberte das Team des deutschen Trainers Franco Foda auf das Duell mit dem bisherigen Turnier-Überflieger Italien am kommenden Samstag im Londoner Wembley-Stadion hin. «Wahnsinn. Das wird etwas ganz Besonderes für uns alle. Wir haben jetzt Geschichte geschrieben, aber die Geschichte ist noch nicht vorbei», kündigte Hoffenheims Christoph Baumgartner an. «Wir haben noch viel vor. Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch die Italiener mit uns zu kämpfen haben werden.»
Baumgartner mit Kopfschmerzen
Der Schütze des goldenen Tores grüßte nach der Ankunft im Quartier beim Aussteigen aus dem Teambus bereits wieder mit erhobenem Daumen in die Kamera des Reporters der «Kleinen Zeitung». Der jüngste Spieler, der je bei einer EM für Österreich getroffen hatte, klagte nach seiner Auswechslung wegen eines Zusammenpralls noch über Kopfschmerzen, ließ sich wie Vorlagengeber Alaba die Vorfreude auf Italien aber nicht verderben.
«Wir wissen, was sie für eine Mannschaft haben. Es ist wirklich schön, im Wembley gegen so eine Mannschaft im Achtelfinale spielen zu dürfen», sagte Kapitän Alaba über den nächsten Gegner und gab das Motto vor: «Wir sind hier, um zu träumen. Mal sehen, was da alles geht.»
ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel erhofft sich vom EM-Erfolg einen Schub für den ganzen Fußball in der Heimat. «Es ist natürlich die Hoffnung, dass das eine Initialzündung für den ganzen Fußball in Österreich ist», sagte Schöttel im Teamquartier der Österreicher. «Es war zuletzt keine einfache Zeit durch Corona, jetzt hoffen wir, dass es richtig wieder los geht. Und wenn wir daran unseren Anteil haben können, dann freut uns das», sagte der Ex-Profi von Rapid Wien.
Anders als noch vor fünf Jahren, als die Chance aufs EM-Weiterkommen mit einem 1:2 im letzten Gruppenspiel gegen Island kläglich verspielt wurde, gelang nun der in Österreich vielzitierte «Aufstieg». Wichtigen Anteil daran besitzt auch Coach Foda, der mit dem mutigen Umbau von Alaba auf die linke Abwehrseite und dem Vertrauen in Grillitsch als zentraler Figur die entscheidenden taktischen Impulse gab. «Das ist ein Tag, an dem die Arbeit des Teamchefs beurteilt wird», konstatierte Herbert Prohaska als Fußball-Chefkritiker der Nation im ORF. «Und heute sind wir zufrieden.»
Foda will gegen Italien die Initiative ergreifen
Um in einen ähnlichen Legenden-Status wie «Schneckerl», der von den österreichischen Fans in der Bukarester Arena lange nach Abpfiff mit Sprechchören gefeiert wurde, zu rücken, müsste Foda noch mehrere Meisterstücke folgen lassen. Große Sorgen wollte sich der gebürtige Mainzer und Sohn eines italienischen Vaters trotz der Serie der Azzurri von 30 Spielen ohne Niederlage aber nicht machen. «Wenn man gegen Italien bestehen will, muss man selbst Initiative ergreifen. Wir sind gegen jede Mannschaft in der Lage, Tore zu schießen und uns Chancen herauszuspielen.»
Auf einen Sieg gegen die Italiener wartet die ÖFB-Auswahl allerdings seit 1960, bei vier WM-Duellen gab es bislang vier Niederlagen. «Mamma Mia, wie sollen wir gegen diese Italiener gewinnen?», fragte «oe24.at» und schlussfolgerte: «Wir brauchen am Samstag ein Fußball-Wunder.»
Wegen der aktuellen Corona-Lage werden das Spiel aber wohl keine Fans und Journalisten aus Österreich im Stadion verfolgen können. «Es ist natürlich ewig schade, wenn bei unserem ersten EM-Achtelfinale überhaupt niemand aus Österreich dabei sein kann», sagte Schöttel.