Lukas Hradecky hatte kritische, ja ungläubige Blicke geerntet. Doch der Kapitän und Torhüter von Bayer Leverkusen hatte es keineswegs ironisch gemeint.
Die Gänsehaut-Stimmung beim Hinspiel in Rom sei ja schön und gut gewesen, sagte Hradecky mit Blick auf das 0:1 im Stadio Olimpico: «Aber ganz ehrlich: Ich finde, in der BayArena ist es manchmal lauter.» Deshalb könne man im Rückspiel «noch mal einen größeren Hexenkessel» erwarten.
Diese Aussage steht am Donnerstag (21.00 Uhr/RTL) beim Halbfinal-Rückspiel der Europa League gegen die AS Rom vor einer kritischen Überprüfung. Als «Hexenkessel» war die BayArena im Vergleich zu manch anderem Fußballstadion bisher nicht berühmt. Doch es ist zumindest logisch, was Hradecky meint. Zum einen bezieht sich der 33-Jährige darauf, dass in Rom abseits des Spektakels vor dem Spiel und beim Siegtor wenig gesungen wurde – wie in Italien üblich. Zum anderen haben sich unter Trainer Xabi Alonso in Leverkusen tatsächlich ein Hype und eine Euphorie entwickelt wie seit Jahren nicht.
Bayer-Boom
Sämtliche Tickets für das Spiel gegen die Roma um Star-Trainer José Mourinho waren in 90 Minuten ausverkauft. Die Mitgliederzahl ist im letzten halben Jahr von gut 27.000 auf knapp 35.000 um rund ein Drittel gestiegen. Von den letzten fünf Heimspielen war nur das gegen RB Leipzig nicht ausverkauft, weil im Leipziger Block Plätze frei blieben. Und schon vor dem Viertelfinale gegen Union Saint-Gilloise aus Belgien hatten 3000 Fans den Mannschaftsbus empfangen und im Pyronebel zum Stadion begleitet. Alonso, als Spieler Welt- und Europameister und zweimal Champions-League-Sieger, war anschließend sogar gefragt worden, ob er so etwas schon mal erlebt habe. «Als Trainer noch nicht», antwortete der Spanier.
Am Donnerstag wollen die Bayer-Fans eigentlich noch einen draufsetzen. Das wurde ihnen bisher aus Sicherheitsgründen untersagt. Die Anhänger wollten sich auf dem Friedrich-Ebert-Platz zum Fanmarsch treffen, doch genau dieser wurde von Bayer bei der UEFA als Treffpunkt für die römischen Fans angegeben. Der Fan-Dachverband «Nordkurve 12» zog nach dem Scheitern vor dem Verwaltungsgericht Köln am Dienstag mit einem Eilantrag vor das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in Münster.
Es ist in und um Leverkusen allen bewusst, dass der Donnerstag eine historische Chance für den Verein bedeutet. Erstmals seit 21 Jahren könnte Bayer wieder ein Europacup-Finale erreichen, gar seit 30 Jahren ist der Club ohne jeden Titel. Was ihm zwischenzeitlich viel Spott und Häme und den Beinamen «Vizekusen» einbrachte. Der Verein habe es «einfach mal wieder verdient» und sei «auch dran, einen Pokal hochzuhalten», sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler, bis vergangenen Sommer Sportchef bei Bayer und beim Hinspiel in Rom als Edelfan mit dabei.
Gestiegene Aufmerksamkeit
Hinzu kommt: Nach dem Aus aller Bundesliga-Rivalen sind die Augen und Hoffnungen der deutschen Fußball-Fans und auch der Kontrahenten auf die Werkself gerichtet. «Wenn man mit den Kollegen schreibt oder telefoniert, bemerkt man schon eine gestiegene Aufmerksamkeit», sagte Sportchef Simon Rolfes: «Und man merkt bei Fans wie Verantwortlichen, dass die Europa League einen anderen Stellenwert hat als vor zehn Jahren. Oder als der UEFA-Cup, der viele nicht interessiert hat. National und international ist das eine große Nummer.»
Das hat das direkte Umfeld längst registriert und so wird am Donnerstag unabhängig von der Vergleichbarkeit mit den römischen Tifosi sicher eine Atmosphäre herrschen, wie man sie in Leverkusen selten erlebt hat. «Die Stimmung wird überragend sein. Da freut sich jeder von uns drauf», sagte Abwehrchef Jonathan Tah, seit 2015 im Verein. Und auch Rolfes kündigte «eine fantastische Stimmung» an.
Der Optimismus ist trotz der Hinspielniederlage und der Verletzungen von Robert Andrich sowie Odilon Kossounou ungebrochen. «Es ist noch alles drin», sagte Rolfes. Man habe schon im Hinspiel «gezeigt, dass sie verwundbar sind. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir das Spiel zu Hause gewinnen können». Und wie Alonso deutet er es sogar zum kleinen Vorteil um, dass sie das auch müssen. «Die Marschrichtung ist klar», sagte Rolfes: «Und manchmal ist es besser, wenn man mit dem Mindset ins Spiel geht, Tore schießen zu müssen.»