Bundesinnenminister Horst Seehofer kritisiert die UEFA. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Kay Nietfeld/dpa)

Proppenvolle Tribünen in Pandemie-Zeiten – für viele Politiker passt das nicht zusammen. Die Kritik an der Europäischen Fußball-Union in der Diskussion um die Zuschauerzulassung bei der derzeit laufenden Europameisterschaft hält an.

Er halte die Position der UEFA für «absolut verantwortungslos», sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Die UEFA verweist bei der Entscheidung über die genaue Anzahl der zugelassenen Besucher ihrer EM-Partien weiter auf die lokalen Behörden. Und die machen für die Fußballspiele im Londoner Wembley-Stadion bei weitem keine Ausnahme.

«Wir alle wissen, dass die Kontaktvermeidung und bestimmte Hygienevorschriften unabdingbar sind, um die Infektionen eines Tages zu überwinden», sagte Seehofer bei der Bundespressekonferenz in Berlin. Wenn man aber die Bilder sehe von «Menschen, die sehr dicht aufeinander sind» und «Erfolge feiern mit großen Umarmungen», sei «vorgezeichnet, dass dies das Infektionsgeschehen befördert».

Delta-Variante breitet sich aus

Bei der 0:2-Niederlage der deutschen Nationalelf im EM-Achtelfinale gegen England am Dienstag waren 41.973 Zuschauer im Wembley-Stadion. Teile davon lagen sich in den Armen und herzten sich, sangen und grölten gemeinsam. Es waren Szenen wie aus einer anderen Welt – und für Menschen, die sich in den vergangenen 15 Monaten zur Eindämmung des Virus weitgehend isoliert haben, auch durchaus befremdliche.

Für die Halbfinals und das Endspiel im Londoner Fußball-Tempel sollen sogar 60.000 Zuschauer zugelassen werden. Weil die Corona-Zahlen durch die Delta-Variante zuletzt in Großbritannien wieder stiegen, ist der Schritt umstritten. Er könne «nur an die UEFA appellieren, es nicht auf die örtlichen Gesundheitsbehörden abzuschieben», sagte Seehofer. «Ein Sportverband sollte schon klar erklären: Wir wollen das nicht, wir reduzieren die Zuschauerzahl.» Der Kommerz dürfe «nicht den Infektionsschutz für die Bevölkerung überstrahlen».

Die UEFA jedoch hält unbeirrt an ihren Zuschauerplänen fest – und gibt die Verantwortung weiter. Die Maßnahmen seien an jedem Spielort vollständig mit den Regularien der zuständigen Gesundheitsbehörden abgestimmt, teilte der Verband am Donnerstag auf dpa-Anfrage mit. Die finale Entscheidung über die Anzahl der zugelassenen Zuschauer bei den Spielen und die Einreisebestimmungen liege im Verantwortungsbereich der lokalen Behörden – die UEFA folge diesen.

«Es ist nicht völlig auszuschließen, dass Veranstaltungen und Versammlungen letztlich zu einer lokalen Erhöhung der Fallzahlen führen könnten», sagte der medizinische Berater des Verbandes, Daniel Koch. «Aber dies würde nicht nur für Fußballspiele gelten, sondern auch für alle Situationen, die nun im Rahmen der von den zuständigen örtlichen Behörden beschlossenen Lockerungsmaßnahmen erlaubt sind.» Die europaweiten Impfkampagnen und Grenzkontrollen würden «dazu beitragen, dass in Europa keine neue große Welle startet und die jeweiligen Gesundheitssysteme unter Druck setzt, wie dies bei den vorherigen Infektionswellen der Fall war».

Vor Seehofer hatten sich schon Vizekanzler und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sowie SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sehr kritisch zur großflächigen Fan-Rückkehr in die Stadien geäußert. Und Zahlen aus Schottland bekräftigten zuletzt die Sorgen mit Blick auf die Ansteckungsgefahr. Knapp 2000 Corona-Fälle lassen sich nach offiziellen Angaben dort mit EM-Spielen in Verbindung bringen.

Corona-Fälle an Austragungsorten

Auch in St. Petersburg, wo am Freitag das Viertelfinale zwischen Spanien und der Schweiz ausgetragen wird, spitzt sich die Lage zu. Am Mittwoch hatten die Behörden 1500 Neuinfektionen innerhalb eines Tages gemeldet – 100 mehr als am Vortag. 111 Menschen starben demnach innerhalb von nur 24 Stunden mit dem Virus. Dennoch sollen 50 Prozent der mehr als 60.000 Plätze beim letzten Turnierspiel im Stadion in der russischen Hafenstadt besetzt werden. Staatschef Wladimir Putin verteidigte die Ausrichtung von EM-Spielen in St. Petersburg.

Auch bei anderen Sportevents kehren die Zuschauer in Scharen zurück. Beim Tennis-Turnier in Wimbledon sind aktuell rund 20.000 Fans pro Tag auf der Anlage zugelassen, bei den Finals (10. und 11. Juli) darf der Centre Court sogar voll besetzt werden. Zum Formel-1-Rennen in Silverstone am 18. Juli sollen 140.000 Zuschauer zugelassen werden. Die (Teil-)Zulassung der Fans bei diesen Wettkämpfen gehört zu einem Testprogramm der Regierung, mit dem die Ausbreitung des Virus bei Großveranstaltungen in Großbritannien untersucht werden soll. Und das auch hierzulande aufmerksam verfolgt wird.

In der Diskussion um die Zulassung von Zuschauern bei der EM schlug auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kritische Töne an. Zumindest mit einer partiellen Fan-Rückkehr rechnet er aber auch zum Start der kommenden Bundesliga-Saison Mitte August. «Die Ausrichtung von Fußballspielen, aber auch von kulturellen Großveranstaltungen sollte wieder möglich sein», sagte Weil der «Welt» angesichts in Deutschland derzeit niedriger Inzidenzwerte und einer immer höheren Impfquote. Derzeit arbeiteten die Staatskanzleien des Bundes und der Länder an einer einheitlichen Regelung.

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