Enttäuschte Leipziger: Die RB-Profis nach der Niederlage bei Union Berlin. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Andreas Gora/dpa)

Die Samstagsruhe war trügerisch am Cottaweg. Am Morgen nach dem sportlichen Tiefpunkt mit dem 1:2 beim 1. FC Union Berlin saßen die Bosse von RB Leipzig um den in die ungewohnte Wüterichrolle geschlüpften Geschäftsführer Oliver Mintzlaff zusammen.

Was tun, nach diesem nächsten unerklärlich schwachen Auftritt? Hatte Mintzlaff in seiner ersten von Frust und Enttäuschung geprägten Analyse noch Raum für Spekulationen gelassen, verdichteten sich die Anzeichen, dass Trainer Jesse Marsch noch in seiner laufenden Corona-Quarantäne beurlaubt werden könnte.

Fünf Monate nach dem Fortgang von Julian Nagelsmann zum FC Bayern München ist RB als einstiger Titelherausforderer nur noch ein Rumpel-Betrieb im Bundesliga-Mittelmaß. Womöglich musste Nagelsmann trotz Fokus auf die Vorbereitung auf den Bundesliga-Kracher gegen Borussia Dortmund so etwas wie Mitgefühl mit seinem Ex-Club hegen.

Wütender Mintzlaff

Die Emotionen bei Leipzig-Chef Mintzlaff waren andere. Wild tanzten die Schneeflocken am Freitagabend um seinen Kopf. Mit wütenden Worten gab der 46-Jährige dem Berliner Winter-Stakkato noch eine spezielle verbale Note, die auch Marsch nicht missverstehen konnte. Keine Schonzeit mehr. Erst Analyse, dann Aktion – und zwar schnell.

In welche Richtung die Aktion gehen und ob sie Marsch den Job als Bundesliga-Trainer kosten wird, das sollte sich am Wochenende entscheiden. Schon am Dienstag soll im Endspiel gegen Manchester City in der Champions League zumindest noch das Überwintern in der Europa League gesichert werden. Mit der Berliner Leistung wird das nicht möglich sein, das war nicht nur Mintzlaff klar.

«Das ist jetzt eine schwierige Phase, aber wir werden jetzt auch nicht den Kopf in den Sand stecken und irgendwie warten, bis Weihnachten ist und hoffen, dass es im neuen Jahr dann wieder besser wird. Es geht natürlich darum, dass wir daraus die richtigen Schlüsse ziehen», sagte Mintzlaff im moderaten Teil seines DAZN-Interviews noch auf dem Rasen des Stadions an der Alten Försterei.

Zuvor hatte Mintzlaff für seine rhetorischen Standards ziemlich ungewöhnliche Sätze formuliert. Dass dem 46-Jährigen Wörter in der großen Fußball-Emotion unkontrolliert über die Lippen kommen, kann man sich kaum vorstellen. «Katastrophal», «desolat», einfach «ganz, ganz schlecht» war die Leistung. «Sehr, sehr enttäuscht» war der Geschäftsführer. Nur Platz acht, Tendenz fallend und Minimum fünf Punkte Rückstand auf einen Champions-League-Platz. Das ist für das Erfolgsmodell vom Red-Bull-Reißbrett viel zu wenig.

«Eine Diskussion Mannschaft»

Mintzlaff verwies explizit darauf, dass man «nicht nur eine Diskussion Trainer», sondern auch «eine Diskussion Mannschaft» führe. «Das gilt es jetzt knallhart zu analysieren.» Und doch drehen sich die Debatten erstmal um den Coach. Bis Weihnachten, so hieß es in der Messestadt, werde Marsch Zeit gegeben. Jetzt laufen längst die Spekulationen um mögliche Nachfolger von Lucien Favre (vereinslos) über Roger Schmidt (PSV Eindhoven) bis Matthias Jaissle, der bei Red Bull Salzburg von Marsch übernahm.

Schlechter war die Stimmung im auf ewigen Aufschwung programmierten RB-Orbit wohl noch nie. Und die Zahlen sind deutlich. Erstmals in ihrer Bundesliga-Geschichte kassierten die Leipziger drei Niederlagen in Serie. Aus 14 Saisonspielen holte RB nur 18 Punkte. Auswärts gab es mit Marsch noch keinen Ligasieg. «Das ist für unseren Anspruch zu wenig, das ist nicht das, was wir mit diesem tollen Kader erwarten können», sagte Mintzlaff.

Mildernde Umstände ob des Fortgangs von Leistungsträgern wie Dayot Upamecano und Marcel Sabitzer – und vor allem Trainer Nagelsmann – zum FC Bayern gibt es nicht. Marsch hat gerade in der Außendarstellung schon (zu) viele Fehler gemacht. Und auch nach innen hat seine Autorität offenbar schnell gelitten. Der Amerikaner kommt insgesamt zu soft daher.

Kurios wäre dennoch, wenn er jetzt gehen müsste, obwohl er wegen seiner Corona-Infektion die vergangenen Spiele gar nicht an der Seitenlinie stand und nur virtuell aus dem Homeoffice coachte. «Dass wir unseren Ansprüchen nicht gerecht werden, ist ein offenes Geheimnis. Es geht nicht spurlos an uns vorbei», sagte sein Vertreter Marco Kurth, der bei einer Beurlaubung von Marsch und dessen ersten Assistenten Achim Beierlorzer gegen Manchester City noch mal aushelfen könnte.

Von Arne Richter, dpa
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