Robert Lewandowski genoss den Jubel der eigens nach Sevilla angereisten Fans, noch lange hallten die polnischen Jubelrufe durch das Estadio la Cartuja und die Straßen von Sevilla.
«Es hat funktioniert», sagte der Weltfußballer mit einem Lächeln. Mit seinem 67. Länderspieltor hielt der Bundesliga-Superstar die polnischen Chancen auf den Einzug in die K.o.-Runde am Leben und bereitete der Gruppe E einen hochspannenden Showdown – mit einem schwer wankenden Favoriten Spanien und einem angezählten Luis Enrique. «Wenn wir gewinnen sind wir weiter, wenn nicht, sind wir raus. So ist Fußball», sagte der 51-Jährige fast schon lapidar.
«Roter Alarm»
Vier Punkte hat Schweden, drei Punkte hat die Slowakei, erst dann kommen die Remis-Spanier mit zwei Zählern, Lewandowski bescherte Polen den ersten Punkt bei dieser EM. Alle können noch ins Achtelfinale einziehen. Spanien empfängt am Mittwoch zum dritten Spiel auf dem wenig EM-tauglichen Rasen in Sevilla die Slowaken, Polen spielt in St. Petersburg gegen Schweden. «Wir stecken schön im Chaos», titelte am Sonntag die Sportzeitung «Marca». Auf der «As»-Frontseite prangten zwei Worte: «Roter Alarm». Und nicht nur für «Sport» steht Spanien «Nah am Abgrund».
Das Doppel-Mittelstürmer-Experiment von Enrique ging letztlich nicht auf, weil Polen ein Mittelstürmer namens Lewandowski reichte. «Er hat demonstriert, dass er unser Anführer ist», schwärmte Polens portugiesischer Nationalcoach Paulo Sousa und bezeichnete den Profi vom FC Bayern als «lebenswichtig». Und tatsächlich: Lewandowski kämpfte, rannte, er motivierte, er riss seine Mannschaft mit. Die Präsenz des 32-Jährigen vom FC Bayern auf dem Platz, seine Qualitäten als Torjäger – «Polen hat das Feuer der Spanier mit dem eigenen gelöscht», schrieb Polens «Gazeta Wyborcza».
Genüsslich wandelten die spanischen Zeitungen indes Enriques Einsatzgarantie vor der Partie für Alvaro Morata («Morata und zehn weitere» würden gegen Polen spielen) um. «Morata und zehn weitere Probleme, die alle Lewandowski geschaffen hat», hieß es bei «Marca».
Lange Durststrecke
Den bis dato letzten Sieg bei einer EM schaffte Spanien am 17. Juni 2016 gegen die Türkei mit 3:0. Seit vier Spielen wartet der Europameister von 1964, 2008 und 2012 sowie Weltmeister von 2010 nun auf den nächsten Erfolg. «So ist das Leben manchmal», sagte Morata, der beim 0:0 zum Auftakt der Spanier gegen Schweden von den eigenen Fans teilweise ausgepfiffen worden war, «es gibt schwere Momente, aber du musst nach vorn schauen».
Es war dieser Morata, der auf Vorlage des nach viel Druck von außen in die Startformation genommenen Gerard Moreno die Spanier gegen die Polen zunächst in Führung gebrachte hatte. Nach der Anerkennung des Treffers durch den Video-Referee war er schnurstracks zum Coach gerannt, sie umarmten sich lachend und aufs herzlichste. Doch der Gefühlsabsturz hätte nicht größer werden können, als nach Lewandowskis Kopfballtor-Ausgleich jener Moreno per Elfmeter nur den Pfosten traf und Morata den Abpraller versemmelte. «Jetzt müssen wir die Zähne zusammenbeißen, weitermachen und die Gruppe überstehen», sagte er.
Die Rückkehr des eigentlichen Kapitäns Sergio Busquets, den Enrique trotz vorher attestierter «Top-Verfassung» nach einer Corona-Infektion nicht mal in den Kader gegen Polen nahm, dürfte der Mannschaft noch mal einen Schub geben, den sie auch dringend braucht. Technisch ist das Team fraglos auf hohem Niveau, bei der Entschlossenheit und Durchschlagskraft weniger.
Von Souveränität eines Titelmitanwärters, der in der FIFA-Weltrangliste auf Rang sechs geführt wird, war in den Partien gegen Schweden (Weltranglisten-18.) und Polen (Weltranglisten-21.) nichts zu spüren. «Luis Enrique, so nicht», kommentierte «As».