Weiter geht's gegen England: Das 197. war nicht das letzte Spiel von Joachim Löw als Bundestrainer. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Fragen an Bundestrainer Joachim Löw nach dem 2:2 der Fußball-Nationalmannschaft gegen Ungarn am Mittwochabend in München, das für den Einzug ins EM-Achtelfinale gegen England ausreichte.

Frage: Wie ordnen Sie das Spiel ein?

Joachim Löw: Es war eins der schwierigsten Spiele überhaupt. Es war aber fast so zu erwartet. Die Ungarn bringen den Gegner schier in Verzweiflung mit ihrer defensiven Organisation und ihrem Zweikampfverhalten. Wir haben keine Räume gefunden. Wenn man dann zweimal in Rückstand gerät, wird es immens schwierig. Was die Mannschaft gezeigt hat, war extrem gute Mentalität und viel Moral. Wir sind dran geblieben. Wir haben Fehler gemacht, aber die Mentalität der Mannschaft war klasse.

Frage: Dass man sich in einem Turnier mal durchquälen muss, das wissen Sie aus langer Erfahrung. Kann das Spiel so eine Art Algerien-Moment gewesen sein wie im WM-Achtelfinale 2014?

Ja, klar. Es gab Fehler, die wir gemacht haben, auch bei den Gegentoren. Das darf uns bei den nächsten Spielen nicht passieren. Dass man in der Gruppe auf großen Widerstand stößt, war klar. Diese Gruppe war vielleicht die allerschwierigste. Wir haben den zweiten Platz erreicht. Wir fahren nach England. Das ist eine tolle Nachricht, in London, in Wembley gegen England zu spielen. Jetzt ist diese Vorrunde abgehakt. Jetzt geht es darum, alles oder nichts. Das ist auch eine gute Situation. Wir haben schwankende Leistungen gezeigt in dieser Gruppenphase. Wir wissen, wenn wir das abrufen, was wir können, das war gegen Portugal lange Zeit der Fall, dann sind wir stark. Wenn wir Dinge nicht so umsetzen, kriegen wir Schwierigkeiten.

Frage: Sie haben die Defizite beschrieben. Wie groß ist Ihre Sorge, bis zum Achtelfinale am Dienstag jetzt nicht wieder einen Umschwung zu schaffen?

Nein, da habe ich keine Sorgen. Das wird ein völlig anderes Spiel, was uns sicherlich entgegenkommt. Bei Ungarn war klar, dass sie mit zehn Mann ganz tief um den Sechzehner stehen, alles zumachen und sich in jeden Ball reinschmeißen. Die Engländer müssen zu Hause sicherlich auch nach vorne spielen. Es wird ein offenes Spiel. Wir müssen ein paar Dinge korrigieren, wir müssen absolut auf der Hut sein. Flanken in den Sechzehner und Standardsituation – da gibt es kein Pardon mehr.

Frage: Wie bewerten Sie die Leistung von Leroy Sané, den Sie in die Startelf gestellt haben?

Beide Außen kam nicht so ins Spiel wie gegen Portugal. Ich hatte der Mannschaft gesagt, dass wir andere Wege finden müssen, eher durchs Zentrum. Es gab kaum freie Räume. Durch die Mitte haben wir auch keine Wege und Lücken gefunden. Leroy und auch Robin Gosens kamen nicht ins Spiel, wie wir das gegen Portugal gesehen haben.

Frage: Sie haben in der zweiten Hälfte einige personelle Umstellungen vorgenommen. Können Sie einmal die Idee dahinter erläutern?

Wir haben Kimmich in den Halbraum gestellt und Leroy ganz rechts an den Flügel geschickt, in der Hoffnung, dass er dort im Eins gegen Eins und mit der Schnelligkeit nach innen und außen durchbrechen kann. Aber das ist auch nicht so gelungen. Mit den Einwechslungen von Thomas Müller und Leon Goretzka wollten wir auf den Halbpositionen frischen Wind bringen und Leute, die hinter die Abwehr gehen und bei Flanken Präsenz im Strafraum zeigen. In der 80. Minute mussten wir dann wirklich volles Risiko gehen. Da mussten wir alles reinbringen, was wir an Offensivkräften zur Verfügung hatten. Timo Werner links, Volland und Musiala. Die haben auch nochmal alles reingehauen. Musiala war in einigen Aktionen wirklich auch gut. Da hat man seine Klasse gesehen.

Frage: Sechs Minuten vor Schluss war Deutschland raus aus der EM. Hand aufs Herz: Haben Sie da mal eine Sekunde nachgedacht, dass das Ihr letztes Länderspiel als Bundestrainer hätte sein können?

Nee, da habe ich wirklich nicht drüber nachgedacht. Da gab es für mich anderes im Spiel. Da habe ich keine Zeit nachzudenken, was sein wird. Die Moral, die Einstellung und die Kampfkraft der Mannschaft haben mir gefallen. Deswegen hatten wir draußen immer das Gefühl, dass wir in der Lage sind, ein Tor zu machen, auch wenn es spät ist. Ich habe in der Halbzeit gesagt: Nicht die Nerven verlieren, nicht völlig auflösen, nicht unstrukturiert werden. Ich hatte das Gefühl, die Mannschaft will das biegen und mit aller Gewalt diese schwere Vorrunde überstehen. Taktische Kniffe musste man nicht mehr auspacken ab der 75. Minute. Wir mussten uns mit aller Gewalt und aller Kraft dagegenstemmen und Bälle in den Strafraum hauen.

Frage: Leon Goretzka ist von Ihnen vertröstet worden, er sei noch nicht ganz fit, noch nicht so weit. Heute war er nicht nur mit dem Tor ein entscheidender Impuls. Ist es jetzt so weit, dass Sie sagen, er hat sich den Startelfplatz erspielt?

Ich habe Leon vor dem Spiel gesagt, dass es nach sechs Wochen Pause nicht ganz so einfach ist, von Beginn weg zu spielen. Es ist gut, wenn er nochmal den nächsten Schritt macht, wenn er 30, 35 oder 40 Minuten spielt. Das wird ihm helfen. Das Tor gibt ihm auch nochmal Auftrieb. Logischerweise ist Leon für uns ein wichtiger Spieler, weil er Dinge macht in der Defensive und Offensive, die der Mannschaft gut tun.

Aufgezeichnet von Klaus Bergmann, dpa
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