Für das DFB-Team um Bundestrainer Joachim Löw (M.) geht es um den letzten Feinschliff vor der EM. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Federico Gambarini/dpa)

Hoffnungsträger Thomas Müller radelte gut gelaunt mit Helm, Maske und Adiletten zum Training. Geburtstagskind Kai Havertz (22) bekam bei bestem Wetter von Joachim Löw eine Umarmung und von seinen Kollegen Beifall.

Bei der Nationalmannschaft in Herzogenaurach deutete am Tag der Turnier-Eröffnung nichts auf verstärkte Nervosität oder sogar Hektik hin, auch wenn bei der Übungseinheit plötzlich Sirenen zu hören waren und die Feuerwehr zu einem Einsatz auf dem Gelände des fränkischen Sportartikel-Konzerns ausrückte. Das Ganze entpuppte sich ganz schnell als Fehlalarm.

Routinier Toni Kroos sprach vor seinem sechsten Fußball-Turnier wie schon zuvor seine Kollegen von einem «guten Gefühl», mahnte aber zugleich Realismus an. «Wir werden es erst bewerten können, wenn die Spiele losgehen», sagte der 102-malige Nationalspieler. Und es gebe bei dieser EM für das DFB-Team «keine Spiele zum Reinkommen».

Kroos fühlt sich bereit

Weltmeister Frankreich in München am Dienstag, vier Tage später Europameister Portugal: «Wir müssen im Idealfall direkt die besten Optionen finden – sonst wird das Turnier nicht lang», sagte Kroos deutlich. Er selbst fühlt sich nach überstandener Corona-Infektion bereit. Seinem Team bescheinigte der Real-Madrid-Star, in der Vorbereitung «den einen oder anderen Schritt nach vorn» gemacht zu haben.

Doch die böse Überraschung bei der WM 2018 mit dem historischen Vorrunden-Aus hat Kroos nicht vergessen. In Russland sei man sogar als einer der großen Favoriten gehandelt worden. «Ich war da nicht der Meinung», bemerkte der Routinier. Und auch jetzt müsse man die Sache realistisch betrachten: «Der größte Gegner ist erstmal die Gruppe. Die zu überstehen, wäre schon mal ein Statement.»

Löw muss bei der Formierung der optimalen personellen Ausrichtung Jonas Hofmann erstmal ausklammern. Als sich die 23 Feldspieler in den weißen Heimtrikots, die drei Torhüter in neongrünen Shirts, der Bundestrainer selbst und fünf seiner Assistenten sowie DFB-Direktor Oliver Bierhoff zum offiziellen EM-Teamfoto aufstellten, war er zwar dabei. Danach wurde der Gladbacher, der sich am Vortag am Knie verletzt hatte, aber zurück ins unweit vom Stadion gelegene Home Ground gefahren. Dort hat auch die medizinische Abteilung des DFB ihre Behandlungsräume eingerichtet.

Weiterer Ausfall

Hofmann, den der Bundestrainer noch als eine Alternative für die Besetzung der rechten Außenbahn bezeichnet hatte, dürfte wie Leon Goretzka für das erste Spiel am Dienstag (21.00 Uhr) gegen die Franzosen ausfallen. Eine genaue Diagnose gab es zunächst nicht. Der Münchner Goretzka trainiert nach überstandenem Muskelfaserriss zwar wieder mit dem Team, der Rückstand ist aber noch zu groß.

Dennoch geht Löw mit einer personell komfortablen Situation in den Endspurt der Turnier-Vorbereitung, was beim Gerangel um die Plätze auf dem Teamfoto nochmal deutlich wurde. «Robin, rück‘ noch ein Stück, damit der Mats Platz hat», rief eine Betreuerin. «Er kann doch nicht schweben», kam als Echo aus der Mannschaft. Am Ende konnten Robin Gosens und Mats Hummels doch noch gemeinsam auf der Bank in der letzten Reihe stehen.

Symbolisch verdeutlichte diese Szene: Die corona-begründete Aufstockung des Turnierkaders von 23 auf 26 Akteure – um mögliche Ausfälle durch Infektionen zu kompensieren – hat den Konkurrenzkampf noch verstärkt. Auch wenn sich die erste Elf deutlich abzeichnet, bleibt die Aufgabe für alle Spieler gleich, wie Löw betonte. «Die Situation ändert sich immer unglaublich schnell. Wir müssen alle Spieler darauf vorbereiten, dass sie im Turnier ins Spiel hineinkommen können», sagte der Bundestrainer und verwies auf seine erfolgreichste Mission 2014 bei der Weltmeisterschaft in Brasilien.

Erinnerungen an 2014

Selbst Stürmer-Legende Miroslav Klose spielte dort manchmal nicht von Beginn an. Der Auftrag für die aktuelle EM-Generation ist klar: Druck machen auf die anderen. So wie der Gladbacher Christoph Kramer 2014. «Er kam als einer der Letzten ins Aufgebot, war dann im Campo Bahia immer auf höchstem Niveau», sagte Löw. Am Ende flogen alle als strahlende Weltmeister zurück nach Deutschland.

Gern möchte die Mannschaft dem ewigen Jogi ein großes Erfolgsgefühl zum Abschied bescheren. «Insgesamt spüre ich Energie, spüre ich Tatendrang bei der Mannschaft. Und das ist auch bei uns Trainern so. Wir haben eine gute Mannschaft, die vieles erreichen kann», sagte Löw. «Wir warten darauf, dass es endlich losgeht, wir sind alle heiß», berichtete Abwehrmann Robin Koch. Zum EM-Auftakt Italien gegen Türkei mussten sich die Spieler aber zunächst noch mit einer Zuschauerrolle an vielen Bildschirmen im Home Ground begnügen.

Die guten Wünsche der Bundeskanzlerin werden das Team auf jeden Fall begleiten. Bei einem Videotreffen hatte Angela Merkel an Kroos und Co. übermittelt: «Es geht gleich schwierig los. Ich drücke die Daumen, dass Sie ganz weit kommen.» Für alle und auch für ihn selbst sei das nochmals etwas Besonderes gewesen, sagte der Rio-Weltmeister und viermalige Champions-Sieger Kroos am Tag der EM-Eröffnung: «Wir telefonieren auch nicht jeden Sonntag mit der Kanzlerin.»

Von Jens Mende, Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa
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