Bayern-Star Thomas Müller beim Abschlusstraining. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Thomas Müller beschwört «diesen FC-Bayern-Geist», Thomas Tuchel setzt für ein Münchner Fußball-Wunder auf das Publikum und eine Leistung «am Maximum-Level». In ihrer aussichtslos wirkenden Lage bleibt den taumelnden Münchnern um den anfangs so euphorischen Trainer Tuchel am Mittwoch (21.00 Uhr/DAZN) gegen Manchester City nichts anderes übrig, als bei Pep Guardiolas Rückkehr in die Allianz Arena an die Möglichkeit eines historischen Fußball-Abends zu glauben.

Die 0:3-Hypothek aus dem Hinspiel zwingt Tuchel zu einer besonderen Herangehensweise. «Wir können kein Wunder herbeireden. Nur von einem 4:0 oder 5:1 zu sprechen, ich weiß nicht, ob das angebracht ist», sagt der 49-Jährige. Er setzt auf ein Wunder in Etappen. «Das erste Ziel ist, die erste Halbzeit zu gewinnen. Wir haben Zeit, wir müssen uns nicht gehetzt fühlen.» Wichtig sei, dass der Funke vom Rasen auf die Ränge überspringe.

Im 282. Königsklassenspiel muss dem deutschen Rekordmeister ein spektakuläres Comeback gelingen, um sich doch noch ins Halbfinale zu retten. «Vielleicht ist was Magisches möglich», sagte Europa-Veteran Müller, der persönlich auf 99 Siege in der Königsklasse zurückblickt. Vielleicht wird der 100. sein größter und emotionalster.

Müller setzt auf die Fans

Einige wenige Vorbilder für Wunder in der K.o.-Phase gibt es, etwa von Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool und dem damals noch für die Reds stürmenden Neu-Münchner Sadio Mané beim 4:0 gegen den FC Barcelona im Halbfinale 2019. Kapitän Müller hofft auf ein brodelndes Stadion. Er versprach den Fans: «Es geht voll drauf! Wir sind schon noch da!»

Beim Abschlusstraining im kühlen München richteten sich am Dienstag die Objektive der TV-Kameras und Fotografen vor allem auf Eric Maxim Choupo-Moting und den begnadigten Problemstar Mané. Der zuletzt wegen Knieproblemen pausierende Choupo-Moting ist der große Hoffnungsträger auf Tore. «Er ist der Neuner in unserem Kader. Er gibt uns Selbstvertrauen auf der Position, er gibt uns Körperlichkeit», sagte Tuchel.

Womit überrascht der Bayern-Coach? Setzt er auf eine spezielle Jetzt-erst-recht-Haltung beim nach seinem Kabinen-Clinch mit Leroy Sané begnadigten Mané? Klar ist: Die Bayern brauchen Tore, Tore, Tore. Die Offensivabteilung muss liefern, nachdem zuletzt nur noch Abwehrspieler getroffen hatten. Diese müssen sich jedoch im Kerngeschäft darauf fokussieren, ManCitys Sturmgewalt namens Erling Haaland zu bändigen.

«Haaland ist ein großer Spieler, er ist eine der besten Nummern neun in der Welt», sagte Verteidiger Benjamin Pavard über den Norweger. Auch im Hinspiel traf Haaland. «Wir haben die Pflicht, in diesem Rückspiel nochmal alles, was möglich ist, reinzuwerfen», forderte Oliver Kahn. Auch für die Münchner Bosse ist der Ausgang des Rückspiels zukunftsweisend.

«Es wirkt verkrampft»

Viel mehr als der spezielle «Bayern-Geist» spricht nicht für einen Bayern-Coup. Der Trainerwechsel hat keinen Titelschub freigesetzt. Etliche Spieler sind nicht in Form, individuelle Fehler an der Tagesordnung. «Es wirkt verkrampft», stellte Tuchel fest.

Ex-Bayern-Coach Guardiola dagegen kehrt mit einem Team an seine frühere Wirkungsstätte zurück, das top funktioniert und dazu in Haaland einen Mann auf dem Platz hat, der nach Herzenslust trifft. Man City wirkt 2023 endlich reif für den so oft verpassten Königsklassen-Triumph. Trotzdem warnte Guardiola: «Die Bayern werden am Limit spielen. Ich kenne sie.»

Müller skizzierte, wie das Drehbuch für das «Wunder von München» aussehen könnte: «Wenn wir uns mal vorstellen, wir machen in der ersten Halbzeit ein Tor. Dann gehst du in die zweite Hälfte mit der Aussicht, vielleicht machst du ein zweites Tor. Und spätestens ab da kann jeder Ball, jeder Pfiff, jede Situation entscheidend sein. Möglich ist es», sagte Müller, der allerdings einräumte: «Aber klar, es steht auch noch ein Gegner auf dem Platz.»

Debatte um FCB-Bosse

Müller sagte auch: «Das Fenster ist kleiner geworden, es ist nicht mehr viel Platz für Fehler.» Aussetzer wie von Abwehrspieler Dayot Upamecano vor dem 0:2 in Manchester sind nicht mehr drin. Es braucht ein perfektes Bayern-Spiel, angefangen bei Torwart Yann Sommer über die Anführer Kimmich und Müller bis hin zur Sturmspitze Choupo-Moting. «Wir wissen alle, dass wir eine ganz andere Leistung brauchen. Wir alle wissen, dass wir das können, aber wir müssen es auf den Platz bringen», sagte Kimmich.

Statt Aufbruchstimmung herrscht in München eher Untergangsstimmung. «Wir lassen uns von der Gesamtgemengelage nicht runterziehen», konterte Müller trotzig. Ein Champions-League-K.o. würde aber unweigerlich die längst entbrannten Debatten über die Bosse um Kahn und Hasan Salihamidzic, die offenkundigen Baustellen im teuren Luxuskader und auch die künftige sportliche Ausrichtung unter Nagelsmann-Nachfolger Tuchel massiv befeuern.

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

Bayern München: Sommer – Pavard, Upamecano, de Ligt, Cancelo – Kimmich, Goretzka – Sané, Müller, Coman – Choupo-Moting

Manchester City: Ederson – Akanji, Stones, Ruben Dias, Aké – Rodrigo – De Bruyne, Gündogan – Bernardo Silva, Haaland, Grealish

Schiedsrichter: Turpin (Frankreich)

Klaus Bergmann und Christian Kunz, dpa
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