Nach der 1:3-Niederlage gegen Leipzig blickt man bei Mathys Tel (r) und Thomas Müller in enttäuschte Gesichter. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Sven Hoppe/dpa)

Nach dem nächsten Titel-Schock für seinen heiß geliebten FC Bayern kam es für Uli Hoeneß noch dicker. Der beim 1:3 gegen RB Leipzig von Kummer gezeichnete Ehrenpräsident musste keine 24 Stunden später auch noch den Verlust der Tabellenspitze an den großen Rivalen Borussia Dortmund verdauen.

Die erste titellose Saison seit 2012 wird beim Münchner Serienchampion nach dem 3:0 des BVB beim FC Augsburg langsam, aber sicher Realität. Heftige Turbulenzen bis hinauf in die Chefetage sind die Konsequenz. Eine große Zäsur steht bevor, neue Stars müssen her. Und Hoeneß wird die große Frage beantworten müssen, was aus dem Führungsduo Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic wird?

Fassungslos erlebte Vorstandsboss Kahn die Gegentreffer bei der Schmach gegen Leipzig, während Sportvorstand Salihamidzic geladen auf ihn einredete. Wenige Meter entfernt machte sich Hoeneß an der Seite des ebenfalls konsternierten Ex-Chefs Karl-Heinz Rummenigge seine Gedanken, nachdem die Münchner Dauermeister im Kampf um die Schale vermutlich entscheidend gepatzt hatten. Trainer Thomas Tuchel, für den das Dortmund-Spiel nicht auf dem TV-Plan stand, war erzürnt wie nie zuvor in seiner Amtszeit.

Durchhalteparolen von Kahn

«Es ist vorbei, wenn der Schiedsrichter unser Spiel am kommenden Samstag in Köln abgepfiffen hat», raffte sich der ehemalige Torwart-Titan Kahn nach dem mutmaßlichen Titel-K.o. zu einer trotzigen Durchhalteparole auf, dass es doch noch eine große Meisterparty in Rot und Weiß am 28. Mai auf dem Münchner Marienplatz geben könnte. Doch schon jetzt hat er die Gewissheit, dass die zum Tag der Entscheidung erkorene Aufsichtsratssitzung zwei Tage danach höchst ungemütlich werden wird. Selbst in einem wundersamen Last-Minute-Titelfall. Bayern muss am kommenden Samstag zum 1. FC Köln, der BVB empfängt den FSV Mainz 05 und hat alles in der eigenen Hand.

«Jetzt müssen wir hoffen und Daumen drücken», sagte Salihamidzic. Sieben Wochen nach dem 4:2 gegen Dortmund stehen die Münchner vor den Trümmern einer Saison, in der sie vor zwei Monaten Trainer Julian Nagelsmann vom Amt entbunden. Die Saisonziele sahen sie in Gefahr – jetzt sieht es noch schlechter aus. Viertelfinal-Aus in Pokal und Champions League und auch in der Meisterschaft spricht kaum noch etwas für die elfte Schale nacheinander. Diese Bilanz wäre noch schlechter als die im tränenreichen Jahr 2012.

Wie umfassend wird der Umbruch?

Nach drei zweiten Plätzen vor elf Jahren gab es die letzte große Zäsur an der Säbener Straße. Auch jetzt ist ein Umbruch erforderlich. Die Frage ist nur, wie umfassend dieser ausfallen wird. Hoeneß wird maßgeblich entscheiden, wie es mit seinem Lebenswerk weitergeht. Und wie für Tuchel der Neubeginn glücken soll.

Nach zwei Monaten im Amt verspürte Tuchel beim unerklärlichen Leistungsabfall seiner Stars «ein bisschen das Gefühl» von Ohnmacht. Der 49-Jährige hörte überhaupt nicht auf, die Mängelliste nach einer auch nur ordentlichen ersten halben Stunde aufzuzählen. «Krasse, krasse» technische Fehler, Positionierung, Entscheidungen, Laufverhalten – eigentlich gefiel Tuchel nichts. Wirklich ratlos machte ihn aber, dass all das selbst für ihn als erfahrenen Trainer so unvermittelt gekommen sei. Nach vielen kleinen Schritten des Teams in die richtige Richtung sei es für ihn unerklärlich, «wieso wir uns dann entscheiden, in die komplett andere Richtung mit Siebenmeilenstiefeln zu gehen», schimpfte Tuchel. Er kündigte eine radikale Analyse an: «Wir werden alles auf den Kopf stellen.»

Tuchel geht nach möglicherweise drei verspielten Titeln mit einem ramponierten Image in die neue Saison, für die die Münchner viel Geld für neue Stars in die Hand nehmen müssen. «Wir werden uns nach der Saison zusammensetzen und schauen, was am Transfermarkt gemacht werden muss», sagte Salihamidzic: «Es sind auf jeden Fall ein paar Themen.» Im Sommer 2012 kam Javi Martínez für 40 Millionen Euro als damaliger Rekordeinkauf für das defensive Mittelfeld. Ein Jahrzehnt später wünscht sich Tuchel dem Vernehmen nach für diese Position einen robusten Abräumer. Dringender Handlungsbedarf für das Sturmzentrum ist ohnehin ausgemacht.

Leipzigs Laimer deutet Wechsel zum FCB an

Der Leipziger Mittelfeldspieler Konrad Laimer, der nach dem Münchner 1:0 durch Serge Gnabry zum Ausgleich getroffen hatte, deutete selbst einen Wechsel zum FC Bayern an. Die Verkündung rückt näher, wenngleich sie nicht am Samstag erfolgte. «Ich habe jetzt keine Lust, irgendwas zu bestätigen», wiegelte Kahn ab. Vielmehr war er damit beschäftigt, alle noch verbliebenen Kraftreserven zu mobilisieren. «Mein Glaube ist immer da. Ich werde den Teufel tun und hier irgendwas abschenken», sagte Kahn.

Diese Haltung könnte auch für seinen eigenen Job gelten. 2012 kam Matthias Sammer als neuer Sportvorstand für Sportdirektor Christian Nerlinger. Trifft es jetzt Kahn? Oder Salihamidzic? Oder beide? Einig sind sich Entscheider und Stars: Ein Weiter so kann es nicht geben. «Ein Spiegelbild der Saison. Es waren zu viele Spiele so wie heute», sagte der erneut geknickte Mittelfeldleader Joshua Kimmich. Viele Fans hatten vorzeitig von ihrem Team genug. Scharen von Bayern-Fans strömten vor dem Abpfiff aus der Allianz Arena. «Wir haben eine Woche und da können wir es drehen», sagte Kapitän Thomas Müller. Ob er nach dem Verlust der Spitze noch wirklich daran glaubt?

Gegen Leipzig, das dank weiterer Treffer durch Christopher Nkunku und Dominik Szoboszlai nach Elfmetern den Sieg und vorzeitig die Qualifikation für die Champions League feiern konnte, ließ der teuerste Kader der Vereinshistorie Gier und Klasse vermissen. Trotz zumindest namentlich starker Einzelkönner steht keine echte Mannschaft auf dem Platz.

«Die Probleme sitzen tief»

«Wenn wir aufhören, nach unseren Prinzipien zu spielen, dann wird es ein Würfelspiel. Dann gewinnen wir halt oder verlieren halt», sagte Tuchel und zuckte genervt mit den Schultern. Der frühere Chelsea-Coach ließ im großen Ärger auch durchblicken, dass er gerne erst zur neuen Saison begonnen hätte, «aber es ist nicht immer ein Wunschkonzert».

In den vergangenen zehn Jahren wurde der FC Bayern immer mindestens Meister. Ein Jahr nach der Titel-Tristesse 2011/12 gab es sogar das Triple, das Müller und Co. 2020 wiederholen konnten. «Die Probleme sitzen tief. Ich kann aber nicht sagen, was unsere Probleme sind», sagte Salihamidzic. Es klang nach großer Ratlosigkeit und Leere beim FC Bayern.

Christian Kunz und Klaus Bergmann, dpa
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