Nagelsmann weiß erst am Dienstagabend, wer der Kontrahent im Achtelfinale sein wird. Das erschwert die Planung. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Glück gehabt? Oder einen guten Plan? Nach dem 1:1 gegen die Schweiz und dem gerade noch gelungenen Gruppensieg wollte sich Julian Nagelsmann nicht auf irgendwelche Diskussionen einlassen. Der späte Ausgleich durch Superjoker Niclas Füllkrug war für den Bundestrainer der verdiente Lohn für eine beharrliche Spielweise.

Nicht so spektakulär wie beim 5:1 gegen Schottland, aber besser als beim 2:0 gegen Ungarn hatte der 36-Jährige die Fußball-Nationalmannschaft zum Abschluss der EM-Gruppenphase gegen die Eidgenossen gesehen. Er zählte dafür auch Statistikwerte von Torschüssen (19:4) bis Ballbesitz (70 Prozent) auf. Mit dem Gruppensieg geht für Nagelsmann die Rechnung auf.

Mehrere Faktoren sind nun vor dem Start in die K.o.-Phase des Heimturniers von Bedeutung. Gesucht wird vor allem noch der Gegner für das Achtelfinale am Samstag (21.00 Uhr) in Dortmund.

Der Joker-Faktor

Flanke David Raum, Tor Niclas Füllkrug. In der Nachspielzeit war das EM-Personalkonzept von Nagelsmann endgültig aufgegangen. Die Tor-Kombination von zwei Jokern verdeutlichte, dass der Bundestrainer mit seiner Rollenzuschreibung nicht nur ein stabiles Fundament für eine Startelf gelegt hat. Auch die Ersatzleute liefern fern von Frustration, wenn es darauf ankommt. «Deswegen haben wir es so gemacht», sagte Nagelsmann zur positiven Konkurrenzsituation von Füllkrug mit Stammkraft Kai Havertz.

Wer am Samstag in Dortmund spielt? Nagelsmann ließ sich zu möglichen Wechselspielen nicht locken. Generell notwendig sind sie in der Offensive nicht. Nagelsmann hat die richtigen Reizpunkte gesetzt. Alle denkbaren Baustellen haben sich in der Vorrunde auch erledigt. Ilkay Gündogan ist ein Kapitän mit Führungskapazität. Torwart Manuel Neuer hat sich stabilisiert und hält fehlerfrei wie eine Nummer eins. Und wenn es irgendwo klemmt, schickt Nagelsmann seine Joker ins Rennen.

Der Euphorie-Faktor

Natürlich erinnerten sich Fußball-Nostalgiker an jenes Siegtor von Oliver Neuville nach Flanke von David Odonkor im WM-Spiel 2006 gegen Polen. Es war der Zündfunke für das Sommermärchen. Ganz so hoch wollte Nagelsmann das Füllkrug-Tor nicht ansiedeln. Aber die Bedeutung eines Last-Minute-Treffers war dem Bundestrainer klar. Einen «kleinen Explosionsmoment», hatte Nagelsmann wahrgenommen. Vorher sei es im Stadion schon «sehr ruhig» gewesen.

Euphorie statt Ernüchterung, das war die einfache Formel des Tor-Effekts, den Füllkrug selbst so beschrieb: «Das kann schon ein Knackpunkt-Moment gewesen sein für uns als Team.» Das Wissen um späte Optionen kann Titelvertrauen auslösen. Nagelsmann sah es auch so und war sogar glücklicher über einen späten Punkt als über einen bequemen Sieg.

Wenn er ein «Drehbuch» schreiben müsse, würde er für den Turnier-Plot das Szenario lieber nehmen «als ein 4:0». Dortmund ist nun der richtige Ort für eine Stimmungsmaximierung: «Wenn wir die Fans im Rücken haben, ist das das beste Stadion der Liga», sagte Füllkrug.

Der Abwehr-Faktor

Umstellen muss Nagelsmann. Ein viertes Mal wird es nicht die gleiche Aufstellung geben können. Jonathan Tah fehlt in Dortmund wegen seiner zweiten Gelben Karte im Turnier. Unberechtigt fand Nagelsmann diese nach dem Einsteigen des Leverkuseners gegen Breel Embolo. Das nützt nichts. Wer ersetzt also Tah? Nico Schlotterbeck durfte gegen die Schweiz Minuten sammeln. Waldemar Anton sei auch ein Kandidat.

Eventuell muss Nagelsmann aber sowohl den Dortmunder Schlotterbeck als auch seinen möglicherweise künftigen Club-Kollegen Anton aufbieten. Der Grund: Antonio Rüdiger plagten sichtbar Schmerzen. «Er hat ein Problem im Oberschenkel. Ich kann es noch nicht sagen», berichtete der Bundestrainer. Ein Ausfall der kompletten Innenverteidigung wäre ein harter Schlag.

Der Planungs-Faktor

Einen Wunschgegner gibt es nicht für das Achtelfinale. Klaro, selbst wenn, würde Nagelsmann den niemals nennen. «Das Gesetz des Turniers ist es, dass die Gegner besser werden», sprach der Bundestrainer eher kryptisch über die Optionen England, Dänemark, Slowenien und Serbien. «Ich finde alle vier Gegner unbequem. Ich hätte mit einer klareren Verteilung der Punkte gerechnet», sagte er zur Situation in der Gruppe C.

Das Problem: Nagelsmann weiß erst am Dienstagabend, wer der Kontrahent sein wird. Das erschwert die Planung. Videos müssen geschnitten, Analysen gemacht werden. Schon am Mittwoch will Nagelsmann am für ihn wichtigsten Trainingstag seinen Spielern eine Taktik darlegen. «Die ganze Nacht» müssen seine Analysten also das Material vorbereiten.

In die Woche startet Nagelmann eher im Slow-Down-Modus. Heute gibt es das übliche Spielersatztraining für die Reservisten, am Dienstag haben alle frei. Ausgang aus dem Home Ground in Herzogenaurach bedeutet das aber nicht.

Von Arne Richter, Klaus Bergmann und Christoph Lother, dpa
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