Die Nationaltorhüter Marc-André ter Stegen (l) und Manuel Neuer beim Torwarttraining auf dem Platz. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Arne Dedert/dpa)

Manuel Neuer war als Erster da. Mit einem Lächeln schritt der Torhüter im Frankfurter Sonnenschein auf den Trainingsplatz der DFB-Akademie. Lässig warf er einen Ball in die Höhe. Deutlich vor seinen Torwartkollegen um den ewigen Rivalen Marc-André ter Stegen meldete sich der Münchner zur nächsten Übungseinheit für den ersten Test-Kracher an diesem Samstag (21.00 Uhr/ZDF) in Frankreich bereit. Als Nummer eins – auch für die Heim-EM.

Bei seinem Nationalmannschafts-Comeback nach mehr als einem Jahr Zwangspause als Folge des schlimmen Beinbruchs bei einem Ski-Unfall im Anschluss an die WM 2022 strahlt Neuer in der Woche vor seinem 38. Geburtstag mit Mimik, Gestik und jeder einzelnen Parade aus, dass er bei der Europameisterschaft im Sommer beim achten großen Turnier in Serie natürlich im deutschen Tor stehen wird.

Deutschland hat zwei Weltklasse-Torhüter

Nach dpa-Informationen ist die Entscheidung von Julian Nagelsmann pro Neuer gefallen, eine offizielle Bekanntgabe steht demnach bevor. Auch das Online-Portal Sportbuzzer berichtete entsprechend. Der Bundestrainer sollte sich am Mittwochabend bei einer Fragerunde mit Fans sicherlich auch zu dem Thema äußern.

Die Verkündung von Nagelsmann fürchtete Neuer offenkundig nicht. «Ich konzentriere mich auf mich, auf meine Leistung und werde bei der Nationalmannschaft wieder alles geben», hatte der Bayern-Schlussmann am vergangenen Wochenende nach dem Sieg in Darmstadt zu seinen Ambitionen gesagt und ergänzt: «Der Trainer wird dann entscheiden.»

Und Nagelsmann konnte diese Personalie mit der Gewissheit angehen, dass er auf der Torhüter-Position kein Problem hat. Oder doch? Der Bundestrainer muss schließlich einen Weltklasse-Schlussmann brüskieren – und das vor den Testspielen in Lyon gegen Frankreich sowie dem zweiten Klassiker am kommenden Dienstag (20.45 Uhr/RTL) in Frankfurt gegen die Niederlande. «Wir haben Top-Torhüter auf dieser Position», sagte Abwehrchef Antonio Rüdiger nach dem Training am Mittwoch. Wen er lieber hinter sich hätte, dazu schwieg der Profi von Real Madrid.

«Die Gespräche werden wir führen und dann entscheiden, mit welcher Herangehensweise wir die beiden Spiele gestalten», reagierte Nagelsmann bei seiner Kader-Bekanntgabe noch ausweichend auf die Fragen nach dem EM-Torwart. Dennoch: Sein Grundprinzip der Rollenverteilung für alle Positionen mit einer Stammkraft und einem Backup wendet er eben auch bei den Torhütern an. In den viel diskutierten Werbevideos für die neuen EM-Trikots vermied der DFB alle Indizien. Beide Torhüter posierten mit der Nummer 1 auf den Shirts vor der Kamera. Bei der EM soll sie wieder Neuer allein gehören.

Jahrelanges Duell zwischen Neuer und ter Stegen

Neuer gegen ter Stegen, dieser Torwart-Zweikampf hat seit Jahren Tradition. Und immer war am Status von Neuer nicht zu rütteln, wenn es wirklich wichtig wurde. Bei vier Welt- und drei Europameisterschaften stand er seit 2010 im DFB-Tor. Nur als der damalige Bundestrainer Joachim Löw mit einem Perspektivkader zum Confederations Cup 2017 nach Russland fuhr, durfte der ewige Stellvertreter ter Stegen als Nummer eins bei einem Turnier auflaufen und die Siegertrophäe in St. Petersburg in die Höhe strecken.

Die überwältigende Mehrheit der Experten war sich auch jetzt sicher: Neuer steht am 14. Juni im EM-Eröffnungsspiel gegen Schottland in München im DFB-Tor. Und das ist für ter Stegen, der beim FC Barcelona ein Anführer ist und seit Jahren auf Top-Niveau spielt, besonders bitter. Als Neuer wegen des Beinbruchs das komplette Länderspieljahr 2023 pausierte, fühlte er sich endlich als Nummer eins. Auch die Rückenprobleme, die ihn Ende 2023 ebenfalls zu einer Operation zwangen, hat er überwunden.

«Ich genieße, dass ich diesen Rückhalt von der Mannschaft habe und vom Trainer. Ich glaube, dass ich das absolut zurückzahle. Das ist das, worauf ich mich am meisten konzentriere: gute Spiele zu liefern und immer mit mir im absoluten Gleichgewicht zu sein», sagte der 31-Jährige, als er bei Nagelsmanns Debüt im Herbst in den USA in der Hierarchie ganz oben stand.

Dass gute Leistungen in Absenz des Kontrahenten Makulatur sein können, musste ter Stegen wissen. Auch vor der WM 2018 kehrte Neuer gerade noch rechtzeitig nach einer langwierigen Fußverletzung zurück – damals ohne jede Spielpraxis und nicht mit zwei Dutzend Bayern-Spielen wie im aktuellen Zweikampf.

Kahns Umgang mit der Degradierung 2006 «ein Vorbild»

Auf dem Trainingsplatz erklärte Löw damals seiner Nummer zwei ter Stegen die Sachlage. «Marc ist ein sehr intelligenter und reflektierter Spieler, der Dinge auch vorhersehen kann», sagte Nagelsmann bei seiner Kaderbekanntgabe am vergangenen Donnerstag. Ein Satz, der allen Interpretationen freien Raum ließ.

Eine Torwart-Debatte vor einem Heimturnier ist nichts Neues. Jürgen Klinsmann degradierte als Bundestrainer Oliver Kahn wenige Wochen vor dem WM-Sommermärchen 2006 zur Nummer zwei hinter Jens Lehmann. Es war eine Entscheidung mit Fußball-Sprengkraft. Der aktuelle Verlierer wird sich aber an der Reaktion des Titans orientieren können. Als loyaler Stellvertreter erntete Kahn beim Sommermärchen viel Lob.

Die jüngsten Turnier-Enttäuschungen 2018, 2021 und 2022 konnte freilich auch Neuer nicht verhindern. Der Bayern-Schlussmann kommt nach seinem erfolgreichen Club-Comeback aber mit einer Statistik-Wucht in seiner Länderspiel-Quote daher: 77 Siege, 21 Remis und nur 19 Niederlagen mit weniger als einem Gegentor pro Spiel stehen in seiner DFB-Bilanz. 47 Mal spielte er seit 2009 mit dem Adler auf der Brust zu Null. Und ter Stegen: 20 Siege, 8 Remis und zehn Niederlagen mit 50 Gegentoren. Nagelsmann lässt sich gerne auch von Zahlen leiten.

Von Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa
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