Manuel Neuer pariert den Schuss von Frankreichs Karim Benzema im WM-Viertelfinale 2014. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Marcus Brandt/dpa)

Für Hansi Flick klingt jede Kritik an Manuel Neuer wie Blasphemie. Wenn Deutschlands Nummer eins im entscheidenden Gruppenspiel der Fußball-Nationalmannschaft gegen Costa Rica mit seinem 19. WM-Einsatz zum alleinigen Rekordtorhüter vor Sepp Maier und Brasiliens Claudio Taffarel wird, gibt es für den Bundestrainer keinen Grund für irgendwelche Zweifel.

«Er hat das Torwartspiel auf ein anderes Niveau gebracht, deswegen ist er für mich immer noch die Nummer eins der Welt.» Dieser schon vor dem Katar-Turnier geäußerte Flick-Satz steht wie eine Grundsatzerklärung über den kleinen Fragezeichen, die Neuer bei seiner vierten WM plötzlich begleiten. 

Fehler beim Spiel mit dem Ball am Fuß, das er für Torhüter revolutionierte, Sicherheit, Lässigkeit und Präzision? Haben die diversen Blessuren vom Mittelfuß vor der WM 2018 bis zum Schulterdach in diesem Herbst ihre Spuren hinterlassen? Muss auch der Modellathlet Neuer mit 36 Jahren dem Verschleiß von tausenden Trainingseinheiten, unzähligen Paraden und dem Dauerdruck im Rampenlicht Tribut zollen? Für die WM-Konkurrenz muten diese Fragen merkwürdig an. Jeder der 32 Turnier-Trainer wäre froh, Manuel Neuer im Kader zu haben. 

Zweifel an Neuer für Flick unfair

Zum Fluch werden für Neuer gerade seine unendlich vielen guten Torwart-Taten. Verglichen werden plötzlich zwei Aktionen im kurzen Torwart-Eck: Die Hand blitzschnell nach oben gereckt gegen den Power-Schuss von Frankreichs Karim Benzema im WM-Viertelfinale 2014. Eine Monster-Parade, die den Weg zum WM-Sieg ebnete. Und diesmal, acht Jahre später in Katar: Beim Schuss von Japans Takuma Asano die Schulter weggedreht, den Kopf leicht eingezogen. Die Lücke gelassen. Das 1:2 zur Auftaktpleite gegen Japan. Für Flick ein unfairer Vergleich: «Die Gegentore müssen wir anders verhindern.»

Auf dem Medien-Boulevard werden schon ehemalige Torwart-Größen von Bodo Illgner bis Jens Lehmann bemüht, um die aktuellen Leistungen Neuers zu bewerten. Offene Kritik gibt es am Bayern-Schlussmann (noch) nicht. Neuer bleibt für alle das Nonplusultra. An Neuers Status als Führungsspieler wird im Zulal Wellness Resort als DFB-Refugium auch nicht gerüttelt. Jungspunde wie Jamal Musiala oder Karim Adeyemi blicken zu ihm auf und sprechen über ihre Bewunderung. 

Die DFB-Pressekonferenz mit WM-Teenager Youssoufa Moukoko wurde kürzlich zum charmanten Talk der Generationen. Neuer war locker wie selten bei solchen Auftritten. Die Torwart-Hierarchie ist ohnehin unumstößlich. Marc-André ter Stegen (30 Jahre/30 Länderspiele) hat sich in seine DFB-Lebensrolle als Nummer zwei gefügt. Kevin Trapp (33/6) ist, beseelt von seinen Top-Leistungen für Eintracht Frankfurt, eine zufriedene Nummer drei. In Deutschland gibt es derzeit keinen Torwart unter 30, der je ein Länderspiel bestritt. Auch das ist Ausdruck für Neuers Torwart-Hegemonie seit der WM 2010. 

Ausgezeichnete Quoten

14 Gegentore kassierte Neuer in seinen bislang 18 WM-Spielen. Eine ähnlich blendende Quote hat er mit 111 Gegentoren in allen seinen 116 Länderspielen. 47 Mal spielte er für Deutschland zu Null. Gegen Costa Rica soll nun endlich auch in einem WM-Spiel wieder die Null stehen. Letztmals ohne Gegentor blieb er im triumphalen Finale 2014 beim 1:0 nach Verlängerung im Maracanã gegen Argentinien. 

Im Al-Bait-Stadion von Al-Chaur wird Neuer bei seinem Rekordspiel gegen den großen Außenseiter vermutlich selten im Blickpunkt stehen. «Wir müssen uns auf unser Spiel fokussieren, unsere Hausaufgaben machen, unsere Pflicht erfüllen», forderte der DFB-Kapitän. An seinem Ehrgeiz hat sich nie etwas geändert, seit jenem legendären Video aus Westerholt, als Neuer als Fünfjähriger mit Riesen-Teddy unterm Arm ein Gegentor beweinte.

Womöglich gingen auch Neuer wie Thomas Müller (33 Jahre/18 WM-Spiele) als zweitem Turnier-Veteran in Katar in diesen Tagen schon die Gedanken durch den Kopf, dass die persönliche WM-Historie nicht zu einem unschönen Ende kommen darf. Sepp Maier, den er als Rekordtorwart ablöst, spielte seine 18. und letzte WM-Partie 1978 beim 2:3 gegen Österreich, der Schmach von Cordoba. Eine Schmach von Al-Chaur gilt es für Neuer zu vermeiden.

Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa
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