Rap-Musik, Selfie-Party, Bodyguards, die die Stars abschirmen – was nach einer typischen Szene eines Massenkonzerts aussieht, geschieht am Ende eines Fußballspiels zwischen einem Berliner Elft- und Neuntligisten.
Rund 50 Meter lang ist die Schlange der Wartenden, die nach dem 5:1-Sieg von Delay Sports gegen den zwei Klassen höher angesiedelten Traber FC Mariendorf nach der Qualifikation im Landespokal nicht nach einem Autogramm der siegreichen Spieler schmachten, sondern nach einem Selfie mit dem Gründer von Delay Sports, Elias Nerlich. Den meisten der rund 1000 überwiegend jugendlichen Besuchern, die zum Teil aus Bayern angereist waren, ist er als EliasN97 bekannt.
Nerlich mit Bodyguards unterwegs
Der 24 Jahre alte ehemalige E-Sportler von Hertha BSC ist Deutschlands größter Streamer auf der Plattform Twitch, auf der er durchschnittlich 35.000 Besucher erreicht. Gemeinsam mit dem ehemaligen Hertha-Profi Sidney Friede hat Nerlich im vergangenen Jahr den Verein Delay Sports gegründet, um unter dem Dach des Berliner Fußball-Verbandes (BFV), am organisierten Fußballspiel teilzunehmen.
Nerlichs Popularität im Netz trägt zum Fan-Ansturm an. «Bereits drei Stunden vor dem offiziellen Einlass standen hunderte Menschen vor den Toren», sagte der Streamer begeistert. Er selbst wird vor, während und nach dem Spiel von Bodyguards begleitet, um allzu aufdringliche Bitten um ein Smartphone-Foto auf ihre Art und Weise lösen zu können.
Ausnahmegenehmigung für Delay Sports
Gerade dieser Hype um den Internetstar ist auch für den BFV ein Grund, Delay Sports eine Ausnahmegenehmigung für den Spielbetrieb zu erteilen. Eigentlich muss ein Verein zuerst drei Jahre in der Freizeitliga aktiv sein, ehe er in der Kreisliga C, der elften und untersten Klasse antreten darf. «Wir haben im Präsidium überlegt und diskutiert, dass wir es mit einem neuen Phänomen zu tun haben. Bei Hertha gibt es mit dem Hype um den Spieler Nader El-Jindaoui eine ähnliche Situation, was Reichweiten und die Wirkung auf Jugendliche betrifft, die bisher nicht den Zugang zum Fußball haben», sagte BFV-Präsident Bernd Schultz der Deutschen Presse-Agentur.
Immerhin schlummert theoretisch ein Potenzial von über 382.000 Interessierten und mehr. So viele Abonnenten hat Delay Sports allein auf Instagram – mehr als die beiden Berliner Bundesligisten Hertha und Union. Die gut 1000 Besucher im Lankwitzer Preußen-Park belegen den Zulauf, auch wenn viele nicht wegen der 90 Minuten gekommen sind. Rap-Musik vor dem Beginn und in der Halbzeitpause und das Warten auf Nerlichs Auftritt haben Vorrang. Zwei Tage vorher konnte Weltmeister Thomas Häßler mit seinem im Preußen-Park beheimaten BFC Preußen ganze 160 Zuschauer zum Ligaauftakt des Aufsteigers in der Berlin-Liga begrüßen – in der sechsten Klasse.
Präsident Schultz erhofft sich von der Aufnahme des Neulings in den organisierten Spielbetrieb nicht nur einen Zustrom Jugendlicher für die zwei Jugendmannschaften, die Delay Sports in den kommenden zwei Jahren aufstellen muss. «Auch Mädchen könnten Interesse am Fußball bekommen, ebenso könnte es Nachwuchs bei den Schiedsrichtern bringen», sagt der 64-Jährige, «zudem könnte auch die Hallensportvariante Futsal interessanter werden.»
Hoffnung auf digitalen Fortschritt
Und letztendlich verspricht sich der BFV durch die Aufnahme von Delay Sports auch eigene Fortschritte im digitalen Bereich. «Auch wir selber müssen mit unserem Internetauftritt aktiver und interessanter werden», sagt Schultz, der die angenehme Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen lobt, die allerdings auch noch vor einigen Hürden stehen. Angesichts des hohen Zuschauerzuspruchs könnten die Gegner in der Kreisliga C vor Probleme gestellt werden.
Und irgendwann müsse Nerlichs Verein auch einen eigenen Platz beziehen – angesichts einer ungenügenden Sportstättensituation in der Hauptstadt eher ein Problem als bei der Bezahlung der Trainer und Angestellten, der Platzmiete und des Caterings. Nerlich hat seine Erlöse mit seinem Auftritt auf Youtube mit 400.000 Euro im Jahr 2021 angegeben. Dabei ist Youtube seine schwächste Einnahmequelle im Netz.