Tony Bloom kaufte 2018 den belgischen Club Royal Union Saint-Gilloise. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Victoria Jones/PA Wire/dpa)

Wenn Tony Bloom am Finaltisch um hohe Summen pokerte, ratterten in seinem Kopf Wahrscheinlichkeiten durch. Der Brite ist studierter Mathematiker und behielt beim Zocken immer einen kühlen Kopf. Ein Freund soll ihm den Spitznamen «Lizard» verpasst haben, weil in seinen Adern Alligatoren-Blut fließe. 

Darauf aufbauend gründete Bloom einst die Datenfirma «Starlizard» und mit dieser revolutioniert er gerade ein Stück weit den internationalen Fußball. Sein Heimatclub Brighton & Hove Albion, den er 2009 zu 75 Prozent übernahm, steht in der englischen Premier League vor Jürgen Klopps FC Liverpool und hat Chancen auf die Champions League. Royal Union Saint-Gilloise, das er 2018 vom deutschen Millionär Jürgen Baatzsch kaufte, ist Zweiter in Belgien und spielt am Donnerstag (21.00 Uhr/RTL) gegen Bayer Leverkusen um den Einzug ins Halbfinale der Europa League. Im Achtelfinale schaltete der Brüsseler Vorstadt-Club den Bundesliga-Dritten 1. FC Union Berlin aus. Und viele in Deutschland und Europa fragten sich: Wo kommen die denn so plötzlich her?

Zufall ist das alles nicht. «Ich möchte dazu keine Betriebsgeheimnisse erzählen. Aber unser Beispiel zeigt: Es braucht keine Unsummen für Top-Transfers, es helfen auch mathematische Formeln», sagte der heutige Ehrenpräsident Baatzsch dem «Münchner Merkur». Und die bekomme man von «Starlizard», das seine Datenbanken ursprünglich für Wetten füttert. Das Unternehmen wirbt mit dem Slogan, man treffe «die besten Sportvorhersagen der Welt».

Bloom – die graue Eminenz

Wie das funktioniert, darüber erzählt Bloom nichts. Er ist eine graue Eminenz. «Als sechsfacher Milliardär ist er in seiner eigenen Welt, sehr unzugänglich», sagte Baatzsch. Beim Club verweist man darauf, dass Bloom «nicht im Tagesgeschäft involviert ist. Er ist Hauptanteilseigner ohne Stimmrechte. Unser Präsident ist Alex Muzio.» Der aber ist Blooms Geschäftspartner bei «Starlizard» und ebenfalls sehr verschwiegen. Die «New York Times», mit er einmal redete, berichtete aber, der damalige Trainer Marc Grosjean musste direkt nach dem Einstieg der Investoren gehen, weil er nicht an die Algorithmen glaubte. 

Viele in der Szene erinnert das, was Bloom und Co. betreiben, an den Hollywood-Film «Moneyball» mit Brad Pitt beziehungsweise die dahinterstehende Geschichte aus dem Profi-Baseball in den USA. Spieler werden zunächst einmal allein durch Daten gescoutet. Und so kommt man auf Profis, die passgenau sind, aber andernorts durchs Raster fielen und somit günstiger sind. Das tun auch andere, aber keiner so effektiv wie Brighton und Saint-Gilles.

Saint-Gilles mit großer Fußball-Tradition

Pascal Groß, der 2017 mit 26 Jahren vom Bundesliga-Absteiger FC Ingolstadt nach Brighton wechselte und voll einschlug, erzählte, er sei überrascht gewesen, wie viele Statistiken man von ihm kenne. Manch einer behauptet, der Club wisse mehr über einen als man selbst. So erging es auch Deniz Undav, den Saint-Gilles 2020 vom Drittligisten SV Meppen holte. Nachdem man ihm erzählt hatte, was man in ihm sehe, «wollte ich unbedingt Teil des Projekts sein». Undav schoss den Club zum Aufstieg, wurde daraufhin mit 25 Toren Torschützenkönig in Belgien – und wechselte nach Brighton. 

Jüngstes Beispiel ist der Nigerianer Victor Boniface. Nach überstandenem Kreuzbandriss und bescheidener Torquote vom FK Bodø/Glimt aus Norwegen geholt, ist er Toptorschütze der Europa League. Wenn die Daten stimmen, glauben sie an die Spieler, egal, woher sie kommen. Der Kapitän stammt aus Malta, auch Spieler aus Luxemburg oder Madagaskar stehen im Kader. Und es passt. Weil die Daten nur den Impuls geben. Neulich schlug das System bei Henok Teklab an. Der ist 24 und spielt für den Regionalligisten Preußen Münster. Rund 30 Mal soll der Club ihn beobachtet haben, der Wechsel gilt als fast perfekt.

Bleibt die Frage: Warum hat sich Bloom ausgerechnet Saint-Gilles geschnappt? Der Club hat große Tradition, wurde bis 1935 elfmal Meister, war zwischenzeitlich aber bis in die Viertklassigkeit abgestürzt. Als Baatzsch 2015 kam, sei er «erschrocken», weil «alles verhunzt» gewesen sei. Er leistete Anschubhilfe, übergab den Club als Zweitligisten. Und Bloom hat die Fantasie, Titel holen zu können. Die hält er mit Brighton nämlich für unmöglich.

Holger Schmidt, dpa
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