Kombination aus angespannter Arbeit und lockeren Übungen: Bundestrainer Joachim Löw (M) leitet das Training seiner Mannschaft. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

Auf der Suche nach Sonnencreme öffnete Joachim Löw sogar heimlich die eigentlich heilige Arzt-Tasche von Tim Meyer. Und dort wurde der Bundestrainer am Samstagmorgen vor dem Anpfiff der Trainingseinheit im Adi-Dassler-Stadion auch tatsächlich fündig.

Der Team-Doc ließ es geschehen, Chef Löw genießt halt Sonderrechte. Bei Sonnenbrand-Wetter in Franken läuft im EM-Quartier der deutschen Fußball-Nationalmannschaft kurz vor dem Knallstart gegen Frankreich im Grunde alles nach Plan, auch wenn der am Knie verletzte Mönchengladbacher Jonas Hofmann zumindest für die erste Turnierphase ausfallen wird.

Wichtiger aber ist: Die Startformation und die taktische Idee für den Ernstfall gegen den Weltmeister am Dienstag (21.00 Uhr) in München stehen. Anspannung und Vorfreude nehmen gleichzeitig zu. «Wir sind bereit, man hat den Drang anzufangen», verkündete Timo Werner. Der Angreifer schwitzte nach dem Duschen noch mächtig nach.

3-4-3-System geplant

Beim Feinschliff in den geheimen Übungseinheiten ist bei dem von Löw auserkorenen 3-4-3-System die Phase der Detailarbeit angebrochen, wie Assistenzcoach Marcus Sorg berichtete. Parallel dazu wird die körperliche Belastung in den Einheiten an den Vier-Tages-Rhythmus angepasst, in dem die Gruppenphase mit den Partien gegen Frankreich (15. Juni), Portugal (19. Juni) und Ungarn (23. Juni) ablaufen wird.

«Wir wollen eine Duftmarke setzen», kündigte Sorg durchaus forsch für die Standortbestimmung gegen Gruppen- und Turnierfavorit Frankreich an. Im Lounge-Bereich rund um den Pool konnten die deutschen Kicker am Freitagabend im Quartier das 3:0 Italiens gegen die Türkei auf einem Großbildschirm verfolgen. Die Emotionen und die Lautstärke der knapp 16.000 zugelassenen Zuschauer im Olympiastadion von Rom steigerte bei Thomas Müller und Co. die Lust auf den eigenen Start.

«Es war fantastisch, ein Spiel vor Fans zu sehen. Die Spieler fiebern darauf hin», sagte Sorg. Drei Jahre nach dem WM-Desaster in Russland sollen die Anhänger bei den Heimspielen in der Gruppenphase wieder versöhnt werden. Das sei in der Zwischenzeit nie möglich gewesen, meinte Löws Assistent: «Unser Los ist, dass man in die Herzen der Fans nur im Turnier kommt.» Aber das natürlich auch nur mit Siegen.

Topspieler sollen Druck machen

Angesichts der wohl fixen Startelf mit Neuer im Tor, Ginter, Hummels und Rüdiger in der Abwehrkette, Kimmich, Gündogan, Kroos und Gosens im Mittelfeld sowie Havertz, Gnabry, Müller in der Offensive ist Löw bemüht, den Konkurrenzkampf im Training mit vielen Wettkampfelementen hochzuhalten. Topspieler wie Werner, Leroy Sané oder auch Niklas Süle sollen in jedem Training Druck machen. «Ich bin nicht der Typ, der schmollt», sagte Chelsea-Profi Werner, der von einem «brutalen Überangebot» an guten Offensivkräften sprach und auf seine Chance lauern will: «Jeder will Europameister werden, jeder brennt dafür.»

«Der Tag wird kommen, an dem man sie braucht», sagte Sorg zu den Reservisten beim ersten von maximal sieben EM-Spielen. Eine Stammelf werde sich erst im Turnierverlauf «herauskristallisieren». Der große Moment eines Spielers könne auch spät im Turnier kommen, sagte Löws Assistent: «Vielleicht reicht eine Situation, im letzten Spiel den Ball von der Linie zu kratzen oder ein Tor zu machen.»

Ob Jonas Hofmann für eine späte Turnierrolle noch infrage kommt, ist vor Spiel Nummer eins nicht seriös zu beantworten. Trotz seiner Knieverletzung, über die der DFB keine exakte Diagnose kommuniziert, bleibt der 28 Jahre alte Mittelfeldspieler beim Team. Der Gladbacher absolviert vorerst individuelle Fitnesseinheiten. «Jonas wäre nicht mehr hier, wenn wir nicht berechtigte Hoffnungen hätten, dass er im Turnierverlauf einsteigen kann», sagte Sorg.

Von Klaus Bergmann und Jens Mende, dpa
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