HSV-Legende Uwe Seeler ist im Alter von 85 Jahren gestorben. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Christian Charisius/dpa)

In Hamburg gibt es die Elbphilharmonie, den Michel, die Köhlbrandbrücke – und es gab Uwe Seeler. Das einstige Fußball-Idol war zu seinen Lebzeiten so etwas wie ein Wahrzeichen der Hansestadt.

Selbst die, die ihn nie spielen sahen, kennen seinen Namen und schwärmen: «Er war ein ganz Großer!» Der Name Seeler ist zu einem Synonym für Treue, Bescheidenheit und Bodenständigkeit geworden. Nie hat der einstige Stürmer mit Torgarantie seinen Hamburger SV verlassen, auch für ein Vielfaches an Geld nicht, das ihm geboten wurde. Für «Uns Uwe», wie er landauf, landab genannt wurde, galt: Einmal Hamburger, immer Hamburger! Nun ist der frühere Nationalspieler im Alter von 85 Jahren gestorben.

Humor, Bodenständigkeit, Herzensgüte und Bescheidenheit sind die Eigenschaften, die Seeler charakterisierten. Überall auf der Welt, wohin das deutsche Fußball-Idol der 1960er-Jahre privat oder als Ehrenspielführer der Nationalmannschaft reiste, sprachen die Menschen ihn an. Und er nahm sich immer Zeit. Er hörte zu, schlug selten einen Wunsch nach einem persönlichen Wort oder Autogramm ab.

Das war auch vor seinem 85. Geburtstag im November 2021 so. Obwohl es ihm gesundheitlich nicht so gut ging, versuchte Seeler, fast allen Bitten von Medien und Repräsentanten der Hansestadt nachzukommen. «Du willst den Leuten eine Freude machen, aber du kannst manchmal nicht. Das ist anderen schwer zu verklickern», sagte er seufzend.

Soweit es seine Gesundheit zuließ, besuchte Seeler die Heimspiele seines HSV. Das wurde aber immer seltener. «Ich bin sehr traurig», hatte Seeler im Mai 2018 den Bundesliga-Abstieg und damit den schwärzesten Tag in der Geschichte des Traditionsvereins kommentiert. «Aber Tränen helfen nicht.» Einer seiner Wünsche: «Ich hoffe, dass ich den Wiederaufstieg erlebe.» Das war ihm leider nicht vergönnt.

Mehr als 400 Pflichtspieltore für den HSV

Seeler war als Mittelstürmer eine Legende. In 476 Pflichtspielen für den HSV erzielte der Torjäger aus Hamburg-Eppendorf 404 Tore und gilt damit als einer der besten Fußballer seiner Zeit. 137 Tore und 36 Vorlagen stehen für ihn in der Bundesliga zu Buche. In Erinnerung werden die Kopfbälle des nimmermüden Angreifers bleiben, besonders das Hinterkopftor 1970 im WM-Viertelfinale in Mexiko zum 2:2 für Deutschland gegen England.

Seine internationale Popularität erwarb er sich in der deutschen Nationalmannschaft. In 72 Länderspielen traf er 43 Mal. Seeler wurde WM-Dritter 1970 und Vizeweltmeister 1966, Weltmeister aber nie. Weltbekannt ist das Foto, als er nach der 2:4-Niederlage im WM-Finale 1966 gegen England mit hängendem Kopf und hängenden Schultern vom Platz trottet, begleitet von einem uniformierten Sicherheitsmann. Später hieß es: das Foto des Jahrhunderts. 1972 wurde das HSV-Idol zum Ehrenspielführer des Deutschen Fußball-Bundes ernannt.

«Uns Uwe» war eine Fußball-Ikone von unglaublicher Strahlkraft. Das ging weit über die Landesgrenzen hinaus. 1961 kam ein Millionen-Angebot von Inter Mailand. Das schlug er aus und blieb in Hamburg. Sein Credo: «Man kann nur ein Steak am Tag essen.»

«Ich bin stinknormal, und das gefällt mir»

Trainer Helenio Herrera, der drei Tage mit Seeler verhandelt und immer mehr Gehalt draufgepackt hatte, war am Ende geschockt. Noch nie, gestand er, habe er jemanden erlebt, der auf so viel Geld verzichtete. So spielte Seeler weiter bei den Hanseaten, arbeitete dazu als Repräsentant für Adidas und fuhr an die 70.000 Kilometer im Jahr mit dem Auto. «Das Schönste auf der Welt ist doch, normal zu sein», sagte der Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes später. «Ich bin stinknormal, und das gefällt mir.»

Der HSV war für Seeler bis zu seinem Tod eine Herzenssache. Er unterbrach sogar seine Urlaube in seinem Nordseedomizil in St. Peter-Ording, um die Heimspiele des Teams zu sehen. So verdarb er sich in den mageren Bundesliga-Jahren manches Wochenende – und das von Ehefrau Ilka gleich mit.

Die Familie stand für den «Dicken» oder «Mäuschen», wie seine Ilka ihn liebevoll nannte, stets im Mittelpunkt. In jungen Jahren nahmen die ehemalige HSV-Handballerin und die drei Töchter viel Rücksicht auf den erfolgreichen Nationalstürmer. Vor Punktspielen war er so nervös, dass die Kinder auf Strümpfen durch das Haus schleichen mussten. Später organisierten sie nicht nur seinen Kalender und managten die vielen Termine – sie waren auch sein Rückhalt. Ihren Mann nannte Ilka den ruhigeren, ausgeglicheneren Part in der Ehe. 63 Jahre waren sie verheiratet.

Gesundheitliche Probleme seit Autounfall 2010

Schon in jungen Jahren machte Seeler schmerzhafte Erfahrungen mit dem Tod. Vater Erwin, ein Hamburger Schutenführer, und Bruder Dieter starben früh. Im Alter machten ihn die zunehmenden Beerdigungen in seinem Freundeskreis immer nachdenklicher. Bei einem unverschuldeten Autounfall vor dem Elbtunnel wurde er im Sommer 2010 so schwer verletzt, dass er in den vergangenen Jahren mehrmals am Rücken operiert werden musste. Auf dem rechten Ohr hörte er nichts mehr. Später bekam er einen Herzschrittmacher. Den geliebten Golfsport und das Radfahren musste er aufgeben, Spaziergänge mit dem Hund aber blieben ihm.

Deutschlands erster Fußballer des Jahres war in den vergangenen Jahren in seinem Haus in Norderstedt mehrmals gestürzt. Einmal hatte er sich dabei die rechte Hüfte und drei Rippen gebrochen. Ihm war daraufhin ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt worden. Danach musste er einen Gehstock nutzen. Bei einem Sturz in diesem Jahr hatte er sich einen Finger gebrochen und das rechte Schienbein aufgerissen. Jammern wollte er aber nie. «Es könnte besser sein. Aber ich bin zufrieden», antwortete er stets auf besorgte Fragen.

Mit seinem Freund, dem früheren Bremer Mittelfeldspieler Max Lorenz, hielt er häufiger ein Schwätzchen. Per Telefon war das keine Hürde. Da tauschten sich beide auch über zunehmende Wehwehchen aus und wie man damit am besten umgehen sollte.

Bereut hat «Uns Uwe» fast nichts in seinem Leben. «Ich glaube, ich habe so weit alles richtig gemacht. Ich bin zufrieden und meine Familie ist es auch», resümierte er zu seinem 85. Nur zwei Dinge bezeichnete er als Fehlentscheidung: zum einen die unglückliche Präsidentschaft beim HSV von 1995 bis 1998, als er an den Finanzen und falschen Freunden scheiterte, zum anderen den Bau eines Swimmingpools im eigenen Garten. Beide Male hatte Seeler auf den Rat seiner Ilka nicht gehört.

Von Franko Koitzsch und Thomas Prüfer, dpa
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