Fans von Newcastle United feiern saudi-arabisch gewandet vor dem Stadion St. James' Park die Übernahme des Clubs durch ein Konsortium. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Owen Humphreys/PA Wire/dpa)

An die letzte Trophäe von Newcastle United erinnern sich nur noch ältere Fußballfans. 1955 holten die Magpies den englischen FA Cup. Seine vierte und bislang letzte Meisterschaft in England gewann der Verein 1927.

Trotzdem waren im Oktober am Stadion St James‘ Park Szenen zu beobachten, die einer Meisterfeier glichen. Tausende Fans feierten ausgelassen die Übernahme ihres Clubs durch ein Konsortium mit saudischer Beteiligung. Beim Tabellenvorletzten träumt man plötzlich vom Titel. Alles andere wird ausgeblendet.

Besorgnis über «Sportwashing»

Aber bei der Newcastle-Übernahme geht es um mehr als Fußball und Finanzen, nämlich um Image, Wirtschafts- und Machtpolitik Saudi-Arabiens. Dessen Kronprinz und faktischer Herrscher, Mohammed bin Salman, baut das Königreich kräftig um. Er will die heimische Wirtschaft unabhängiger machen vom Öl und nutzt dafür vor allem den öffentlichen Investmentfonds (PIF). Neuester Zugang im Portfolio ist Newcastle United. Der PIF hält einen Mehrheitsanteil von 80 Prozent.

Vorsitzender des PIF ist der Kronprinz selbst, der international wegen der Menschenrechtslage im Land stark in der Kritik steht. Der Vorsitzende von Amnesty International UK, Sacha Deshmukh, teilt dazu mit, man sei besorgt, «wie unsere Fußballvereine für Sportswashing verwendet werden». Als Sportswashing bezeichnet man Versuche, durch den Sport das eigene Image aufzupolieren und Missstände zu verdecken.

Stimmt die Liga zu, wird alles in Ordnung sein

Zwar heißt es aus Newcastle, der Fonds sei «vom Staat getrennt» zu betrachten, was die Übernahme aus Sicht der Premier League nach monatelangen – und laut Berichten höchst komplizierten – Gesprächen erst möglich machte. Aber Fonds und Staat sind untrennbar miteinander verbunden. Der PIF ist eines der wichtigsten Mittel für Kronprinz Mohammed, seine Macht im Land und international zu festigen.

Kritik an der Übernahme weisen Newcastles Fans mit einem einfachen Argument zurück: Wenn die Premier League zustimmt, müsse alles seine Ordnung haben. Die Liga musste sich für den Schritt jedoch scharfe Kritik von allen Seiten anhören. Der Vorsitzende Gary Hoffman gab am Mittwoch seinen Rücktritt für Ende Januar 2022 bekannt.

Leidenschaft für Fußball ist nicht bekannt

Die Zusicherungen über eine angebliche Trennung vom saudischen Staat hält man auch bei Amnesty für Makulatur. Am St James Park‘ gehe es jetzt nur noch um Imagemanagement für Kronprinz Mohammed und seine Familie, meint Deshmukh. Dass der Kronprinz eine Leidenschaft für Fußball oder Newcastle United hätte, ist übrigens nicht bekannt.

Eher eifert er wohl seinen Nachbarn nach, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Bereits 2008 akquirierte Prinz Mansur bin Sajid al-Nahjan, Vize-Premier der Emirate und hochrangiges Mitglied der dortigen Herrscherfamilie, über die Abu Dhabi United Group den Verein Manchester City. Eine Tochter des Staatsfonds aus Katar kaufte 2011 Paris Saint-Germain. Der Griff nach Newcastle mag auch dem Wunsch entspringen, endlich mit diesen Golf-Nachbarn gleichzuziehen. Ihr Wettstreit wird auch auf der europäischen Fußball-Bühne ausgetragen.

Sport als sicheres Ventil für die Bevölkerung

Große Investitionen im Sport sind für die Golf-Länder aber auch ein Mittel, den Rückhalt in der eigenen Bevölkerung zu stärken, die teils zu großen Teilen aus Arbeitsmigranten besteht. Junge Katarer feierten etwa den FC Barcelona, als dessen Trikotsponsor Qatar Airways hieß, schreibt Golf-Experte Erhan Akkas. «In politisch konservativen Gesellschaften gilt Sport auch als relativ sicheres Ventil für öffentliche Unterhaltung.» Neben Fußball bemühen sich die Golf-Länder um große Wettkämpfe etwa im Rennsport, Boxen oder Tennis.

Der ganz große Wurf im Sport, die Ausrichtung einer Fußball-WM, ist Saudi-Arabien – anders als Katar – noch nicht gelungen. Die Übernahme Newcastles könnte sich aber schon für den Aufbau einer neuen Fluglinie gelohnt haben, die Saudi-Arabien Berichten zufolge plant. Diese könnte Trikotsponsor werden für den Club, der den Namen bei TV-Übertragungen in Millionen Haushalte tragen würde – ganz wie die emiratischen Nachbarn, die Spielern von Manchester City das Logo der staatlichen Fluglinie Etihad Airways auf die Brust setzten.

Newcastle United reichster Club der Welt

Nicht zufällig war Man City neben Newcastle der einzige Verein der Liga, der gegen eine Beschränkung von Sponsoringverträgen stimmte, falls Sponsoren zu große Nähe zum Clubinhaber aufweisen. Die anderen 18 Premier-League-Vereine setzten diese Regel zunächst temporär durch, wollen aber erreichen, dass sie dauerhaft gilt.

Es sind vermutlich letzte Versuche, den drohenden Aufstieg einer neuen Fußball-Supermacht zu bremsen. Laut übereinstimmenden Medienberichten ist der PIF umgerechnet rund 830 Milliarden Euro (700 Milliarden Pfund) schwer, was Newcastle United zum reichsten Fußballclub der Welt macht. Bisher war das Man City mit vergleichsweise winzigen 27 Milliarden Euro.

Bevor die Newcastle-Fans im St James‘ Park aber den ersten Titel seit Jahrzehnten bejubeln können, muss der neue Trainer Eddie Howe erst einmal den Klassenerhalt schaffen. Derzeit trennen die Magpies fünf Punkte von einem Nichtabstiegsplatz. Am Samstag gibt Howe im Heimspiel gegen Aufsteiger FC Brentford sein Debüt an der Seitenlinie. Über politische Aspekte wollte er nicht reden. «Mein Fokus gilt dem Fußball», sagte Howe. «Das ist alles, worüber ich spreche.»

Von Philip Dethlefs und Johannes Sadek, dpa
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