Unterm Brennglas: Die Rolle der Frau bei der WM in Katar
Die französische Schiedsrichterin Stephanie Frappart wird als erste Frau ein WM-Spiel der Männer pfeifen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Maurice Van Steen/ANP/dpa)

Die Frauen? Die Frauen hatte Gianni Infantino irgendwie vergessen, als der FIFA-Präsident zu Beginn der Fußball-WM in seiner Rede mal kurz die ganze Welt verkörpern wollte.

Pathetisch erklärte Infantino, er fühle sich heute als Katarer, Araber, afrikanisch, homosexuell, behindert und auch noch als Arbeitsmigrant. Als er gefragt wurde, warum er sich nicht wie eine Frau fühle, rief er mehrmals ins Mikrofon: «Ich fühle wie eine Frau.» Er habe ja auch vier Töchter. Der Eindruck, dass das Turnier in Katar trotz vieler weiblicher Fans aus dem Ausland eine Männer-Veranstaltung ist in einem Land mit eingeschränkten Frauenrechten, hat sich nach einer Turnierwoche bestätigt.

Erster Einsatz einer Schiedsrichterin bei Deutschland-Spiel

Am Dienstagabend setzte die FIFA aber ein Zeichen für Gleichberechtigung: Der Weltverband berief Stéphanie Frappart zur Hauptschiedsrichterin für das deutsche Gruppenspiel am Donnerstag (20.00 Uhr/ARD und MagentaTV) gegen Costa Rica. Die Französin wird damit die erste Schiedsrichterin in der Geschichte der Fußball-WM der Männer, die ein Spiel leitet.

92 Jahre hat es in der WM-Historie gedauert, bis Schiedsrichterinnen für das Männer-Turnier nominiert wurden: Frappart, Salima Mukansanga aus Ruanda und Yoshimi Yamashita aus Japan sowie drei Assistentinnen. Schon vor 15 Jahren hatte Joseph Blatter, der längst entmachtete Präsident des Weltverbandes, verkündet: «Die Zukunft des Fußballs ist weiblich.»

Frauen-Power ist in Katar aber nicht angesagt. Die 32 Cheftrainer der WM-Teilnehmer, der Großteil der Betreuer, die prominenten Spitzenfunktionäre mit wenigen Ausnahmen wie FIFA-Generalsekretärin Fatma Samoura aus Senegal: fast alle Entscheider in der Organisation, die meisten einheimischen Zuschauer – maskulin. Im Verantwortungsbereich der Frauen-WM 2023 in Australien und Neuseeland werden sich jedenfalls wesentlich mehr Männer tummeln als jetzt in Katar Frauen.

Entwicklungen noch immer «zu langsam»

Sein Nachfolger Infantino will zwar den Rendite versprechenden und wachsenden Frauenfußball weiter nach vorn bringen. Er protegierte aber auch massiv die jetzige WM in einem Emirat, in dem die Frauenrechte zwar zumindest etwas weiter sind als in den Teilnehmer-Ländern Iran und Saudi-Arabien – aber lange nicht vergleichbar mit westlichen Ländern.

Die Entwicklungen gehen vielen nicht schnell genug. Ex-Nationalspielerin Katja Kraus sagte dazu der Deutschen Presse-Agentur: «Der gesellschaftliche Druck ist in den vergangenen beiden Jahren groß geworden, aber es geht noch immer zu langsam. Wenn man Veränderung wirklich will, dann muss man sich ehrlich mit den Hinderungsfaktoren beschäftigen.»

Beim Turnier in Katar versammeln sich für ein paar Wochen Menschen aus 32 Nationen mit unterschiedlichsten Kulturen und Religionen. Es ist manchmal wie die Welt unter einem Brennglas. Und auch ein Spiegelbild dafür, wie hart und mühsam der Kampf um Gleichberechtigung in der Gesellschaft und in ihrem populärsten Sport geblieben ist.

Brisante Lage im Iran

Nichts verdeutlicht dies eindringlicher als die Situation um die Auswahl des Iran und seiner Fans. Der stumme Protest der Spieler, die vor dem Auftaktspiel gegen England die Nationalhymne nicht mitgesungen haben, wurde nicht nur als Geste der Solidarität mit den seit über zwei Monaten anhaltenden systemkritischen Protesten im Land gewertet. Es wirkte auch als ein Zeichen dafür, dass die Mannschaft gegen die politische Herrschaft sei. Der Opposition im Land war das wiederum zu wenig. Der iranische Staatssender unterbrach trotzdem die Live-Übertragung.

Im nächsten WM-Spiel gegen Wales bewegten die Profis, denen in der Heimat massive Sanktionen drohen, bei der Hymne vor ihrem 2:0-Erfolg die Lippen. In den Stadien waren viele Anhänger mit iranischen Trikots und der Aufschrift «Frauen, Leben, Freiheit» zu sehen. Und es flossen viele Tränen in diesem Moment. Der Tod einer jungen Frau im Polizeigewahrsam hatte die Proste im Iran ausgelöst, der Sicherheitsapparat reagiert mit äußerster Härte.

Gastgeberland Katar gibt sich fortschrittlich

Auch die Gesellschaft des WM-Gastgebers Katar ist stark geprägt von einer konservativen Lesart des Islam und beduinischen Traditionen, was sich auch in der Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau widerspiegelt. Die Väter sind zuständig für die Versorgung und Sicherheit der Familie, die Mütter für den Haushalt. In der Öffentlichkeit tragen Frauen über ihrer Kleidung meistens ein langes schwarzes Gewand, eine Abaja, dazu – gerne eher locker – ein schwarzes Kopftuch. Nur in besonders konservativen Familien müssen sie ihr Gesicht komplett verhüllen.

Zwar rühmt sich Katars Regierung, ein «ausdrücklicher Vertreter der Frauenrechte» zu sein – tatsächlich ist die Freiheit der Frauen auch durch das Gesetz eingeschränkt. Egal, ob Töchter oder Ehefrauen, sie alle sind an einen männlichen Vormund gebunden, wie Menschenrechtsorganisationen kritisieren. So bräuchten Frauen etwa dessen Erlaubnis, um zu heiraten, im Ausland zu studieren oder bis zu einem gewissen Alter ins Ausland zu reisen, beklagt Human Rights Watch. Staatliche Vormundschaftsregeln schränkten ihre Möglichkeiten ein, «ein erfülltes, produktives und unabhängiges Leben zu führen».

Katars Fußball-Nationalteam der Frauen wurde 2009 gegründet. Schließlich hatte die FIFA für die WM-Vergabe 2010 vorgegeben, dass der Frauen- und Mädchenfußball im Bewerberland gefördert werden muss. Heute ist das Team nicht mehr in der Weltrangliste zu finden, 2014 bestritt es sein letztes Spiel. «Wie anders sollte man den Frauenfußball in Katar verstehen, als ein Mindestengagement um die Voraussetzungen für die WM-Bewerbung zu erfüllen», kritisierte Kraus.

Auch in westlichen Ländern besteht Verbesserungsbedarf

Seitdem hat sich aber Katars Gesellschaft verändert, häufig vorangetrieben von einer jüngeren Generation, die ihren Blick Richtung Westen dreht. Auch Menschenrechtsorganisationen räumen ein, dass sich die Lage der Frauen in den vergangenen Jahren verbessert hat: So gibt es im Land mehr weibliche als männliche Hochschulabsolventen. Frauen sind auch Unternehmerinnen, Ärztinnen oder Anwältinnen.

Dass sich in Deutschland eine Netzwerkorganisation wie «Fußball kann mehr» für Geschlechtergerechtigkeit und Diversität im Fußball einsetzt, erscheint im aufgeblasenen Mikrokosmos WM wie ein Aufblinken eines fernen Sternes. Auf den Fernsehschirmen, die den Fußball und viel mehr von Katar aus hinaus in die Welt tragen, sind Reporterinnen und Moderatorinnen längst normal, Kommentatorinnen hingegen weiter rar.

Ulrike John, Jan Mies, Jan Kuhlmann und Patrick Reichardt, dpa
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