Der Videobeweis sorgt im Fußball weiter für Diskussionen. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Andreas Gora/dpa)

Das erste Tor in der langen Geschichte der Fußball-Bundesliga erzielte Timo Konietzka – gesehen haben es am 24. August 1963 jedoch nur die Zuschauer im Stadion. Der Kameramann und die Fotografen waren bei dem Treffer nach nicht einmal einer Minute noch nicht einsatzbereit.

Selbst für eine später von Konietzka ausgelobte Belohnung war kein Bilddokument des historischen Moments aufzutreiben. Heute undenkbar, jeder Millimeter des Rasens wird überwacht, und das nicht mehr nur zum Selbstzweck von Spielern und Fans.

Die Einführung des Videobeweises in der Saison 2017/18 gehört zu den einschneidendsten von vielen technischen Neuerungen in sechs Jahrzehnten Bundesliga. «Dem Fußball ist etwas die Seele genommen worden», sagte der langjährige Schweizer Weltklasse-Schiedsrichter Urs Meier der Deutschen Presse-Agentur, viele Kritiker würden ihm zustimmen. «Wir haben das Gefühl, dass wir mehr Gerechtigkeit haben. Aber das ist eine Schein-Gerechtigkeit. Dem Schiedsrichter und seinen Assistenten wird immer mehr abgenommen. Sie werden zu gesteuerten und ausführenden Marionetten.»

Aber: Mit dem VAR („Video Assistant Referee“) und der zuvor eingeführten Torlinientechnik kam die endgültige Sicherheit, das ein Tor auch wirklich ein Tor ist. «In der Zeit davor konnten wir Schiedsrichter und die Assistenten nur hoffen, dass wir keine solche Situation mit Ball auf oder hinter der Linie erleben werden», sagt Meier. Die heiß diskutierte Frage bleibt, wie viel Technik, wie viel Veränderung gut ist für den Fußball – ein Ende ist lange nicht in Sicht.

«Ich persönlich rege mich lieber über einen menschlichen Fehler auf. Das heißt nicht, dass der VAR abgeschafft werden muss. Aber es muss schneller gehen», sagte Torhüter Oliver Baumann von der TSG Hoffenheim. Werder Bremens Trainer Ole Werner könnte sich eine zeitliche Begrenzung vorstellen. «Wenn der Schiedsrichter rausgeht oder derjenige in Köln länger braucht als eine Minute, um irgendwas zu sehen, dann ist es keine klare Fehlentscheidung», sagte er bei der Talkreihe «Werder Up’n Swutsch».

Keine Neuerungen zur neuen Saison

Im Regelwerk für die 61. Saison gibt es dazu keine Änderungen. Sehr wohl müssen sich Spieler, Zuschauer und Funktionäre aber an Neuerungen gewöhnen. Zum Beispiel sollen sich längere Torjubel in der Nachspielzeit widerspiegeln. Im Vergleich mit dem VAR eine nur kleine Anpassung. 

«Größere Tore, größerer Strafraum, die Spielzeit oder fliegende Wechsel. Diese Diskussion sollten wir zulassen, um dann zu entscheiden: Was wollen wir, was nicht, was ist ein No-Go?», sagte Sportgeschäftsführer Max Eberl von RB Leipzig. Zur Debatte steht etwa auch die sogenannte «Challenge» von Trainern, die es unter anderem im American Football gibt. Der Möglichkeit, pro Halbzeit eine Schiedsrichterentscheidung proaktiv überprüfen zu lassen, steht nicht nur Hoffenheims Leiter der Lizenzspieler, Pirmin Schwegler, «aufgeschlossen» gegenüber. 

Unaufhaltsam schreitet die Technisierung auch abseits des Rasens voran. Die Bedeutung von Daten werde immer größer, sagte Sascha Schmidt, Leiter des «Center for Sports and Management» an der WHU – Otto Beisheim School of Management. «Technologien sind jedoch nur gut, wenn ich sie sinnvoll einsetze», sagte er. 

Neue Geschäftsbereiche und Einnahmequellen entstehen

Es gibt dabei drei Bereiche. Zum einen betreffen die Daten den Sportler und dessen Trainingssteuerung, die individuell angepasst werden kann. Der Fan profitiert durch verschiedene Daten bei seinem Stadionerlebnis. Eine Möglichkeit für die Zukunft: Mithilfe eines Headsets und einen Handcontrollers kann ein Spiel aus verschiedenen Blickwinkeln geschaut sowie Statistiken der Spieler abgerufen werden. Durch das sogenannte Metaverse entstehen nie dagewesene Möglichkeiten, wie etwa Treffen mit Spielern im digitalen Raum. 

Und das Management eines Clubs kann durch eine Vielzahl an Datenblöcken das Scouting optimieren. Zudem entstehen neue Geschäftsbereiche und Einnahmequellen. Eintracht Frankfurt hat das erkannt und nimmt mit der Tochtergesellschaft «EintrachtTech» eine Vorzeigerolle ein. Über eine App können dort unter anderem Interaktionsdaten von Fans gesammelt werden. «Mit diesem innovativen Ansatz einer kontinuierlichen Datensammlung und -nutzung lässt sich die digitale Plattform in ein regionales Ökosystem ausbauen», sagte Schmidt. Partner der Eintracht wurden mit ihrem Produkt- und Serviceangebot nach und nach integriert. «Da entsteht ein ganz neuer Treiber», sagte Schmidt.

Das klingt alles nicht mehr nur nach dem «einfachen Spiel», das sich nicht nur Union Berlins Geschäftsführer Oliver Ruhnert manchmal zurückwünscht. Die rasante Entwicklung sowie der zunehmende Einsatz von Künstlicher Intelligenz gelten als nächste Schritte auch im Profisport.

Von Maximilian Wendl, dpa
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