Selbst unmittelbar nach dem schockierenden EM-Aus schien ein Abschied von Weltmeister-Trainer Didier Deschamps in Frankreich unvorstellbar.
Doch mit dem Abstand zur Achtelfinal-Blamage gegen die Schweiz (4:5 i.E.) wachsen die Zweifel an einem Verbleib des Weltmeister-Trainers. Und das Unvorstellbare ist plötzlich nicht mehr ausgeschlossen.
Zidane möglicher Nachfolger
Der Deschamps eng verbundene Fußball-Verbandspräsident Noël Le Graët wich einem Treue-Bekenntnis aus. Selbst nachdem er kurz mit dem Trainer gesprochen hatte und dieser ihm signalisierte, nicht zurücktreten zu wollen. Dies lässt Raum für Spekulationen. Währenddessen bröckelt Deschamps‘ Status mehr und mehr. Denn zum einen steht ein Disput mit Bayern-Profi Kingsley Coman als Zeichen für verloren gegangene Autorität des 52-Jährigen. Zum anderen sitzt ihm in Zinedine Zidane der prominentest mögliche Nachfolge-Kandidat im Nacken.
Real Madrids Präsident Florentino Perez hatte in der vergangenen Woche ziemlich unverblümt über Zidane gesagt: «Er hat die Hoffnung, Nationaltrainer von Frankreich zu werden. Und sicherlich wird er das.» Zumindest der Wunsch scheint nachvollziehbar, denn nach zwei Amtszeiten beim womöglich größten Club der Welt gibt es sonst wenige logische Ziele für den früheren Weltfußballer.
Zidane äußerte sich bis heute nicht zu den Aussagen. Das heißt auch: Er fing sie nicht ein. Damit ist er spätestens nach dem Aus Deschamps‘ Schattenmann und beraubt diesen damit seines besten Arguments. Denn Deschamps wird geschätzt und ist beliebt. Doch Zidane scheint die einzig mögliche Steigerung zu sein. Beim WM-Triumph 1998 und dem EM-Sieg 2000 war Deschamps der Kapitän. Aber Zidane war der Star.
Verbandspräsident will erstmal alles sacken lassen
Nach einem ersten zweiminütigen Austausch wolle man erst einmal alles sacken lassen, erklärte Verbandspräsident Noël Le Graët dem Radiosender Europe1. «In den nächsten acht bis zehn Tagen werden wir dann in aller Ruhe diskutieren.» Dabei wolle man «eine Reihe von Spielen analysieren, die Beliebtheit von Didier, aber auch sein Verhältnis zu den Spielern». Und gerade Letzteres könnte für Deschamps, der seit 2012 im Amt ist und noch einen Vertrag bis nach der WM 2022 in Katar hat, plötzlich zum Problem werden.
Sinnbildlich dafür steht die Diskussion mit Coman, der sich beim Schweiz-Spiel trotz augenscheinlicher Muskelbeschwerden nicht auswechseln lassen wollte. Deschamps ließ sich daraufhin in der Halbzeit der Verlängerung zu einem Wortgefecht mit dem Flügelspieler hinreißen, das die Kameras einfingen. Der Bayern-Spieler blieb noch sechs Minuten auf dem Platz, ehe er ausgewechselt wurde.
Presse kritisiert Deschamps
Dies sei nur «das anschaulichste Beispiel» dafür, dass das Schweiz-Spiel «gewisse Brüche in der Gruppe aufdeckte. Und insbesondere Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Trainer und bestimmten Spielern veranschaulichte», kommentierte RTL France. Und auch die «L’Equipe» kritisierte, Deschamps habe nicht nur wegen seiner ständigen Systemwechsel «den Eindruck erweckt, während dieser EM nichts unter Kontrolle zu haben». Der Trainer habe durch seinen Schlingerkurs «am Ende alle verloren. Seine Spieler, die Fans und sich selbst.»
Sollte der Verband nach der Analyse auch nur zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, erscheint ein Verbleib des Trainers undenkbar.