Julian Nagelsmann sprach aus, was alle im DFB-Tross dachten. «Das tut gut!» Nach Jahren der Tristesse mit drei Turnier-Flops am Stück hat der Bundestrainer mit einem radikal erneuerten Kader und zwei Testspielsiegen zum Start ins EM-Jahr gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) bei den deutschen Fußballfans große Vorfreude auf das Heimturnier vom 14. Juni bis 14. Juli entfacht. «Die zehn Tage haben sehr viel Spaß gemacht von A bis Z», resümierte Nagelsmann am Dienstagabend in Frankfurt.
Der Lehrgang brachte viele Gewinner hervor – und einige ganz große.
Julian Nagelsmann: Bei den November-Niederlagen gegen die Türkei (2:3) und vor allem in Österreich (0:2) schien der junge Bundestrainer nach dem verheißungsvollen Start auf der USA-Reise mit dem 3:1 gegen das US-Team und einem 2:2 gegen Mexiko aus der EM-Spur geraten zu sein. Aber er zog seine Schlüsse, baute den Kader radikal um, holte Toni Kroos aus dem DFB-Ruhestand zurück und verteilte klare Rollen an jeden einzelnen Spieler. «Der Spirit hat sich ganz anders angefühlt als im November», sagte Nagelsmann. Der Verband will mit ihm noch vor der EM verlängern. Aber auch für Vereine ist er wieder sehr interessant.
Kroos auf Anhieb Kopf der Mannschaft
Toni Kroos: Sein Rücktritt vom DFB-Rücktritt nach fast drei Jahren erwies sich als Volltreffer. Der 34-Jährige von Real Madrid ist auf Anhieb der Kopf der Mannschaft. Der Weltmeister von 2014 agiert auf dem Platz wie ein Quarterback im American Football. Gegen die Holländer übernahm Kroos sogar die Kapitänsbinde nach der Auswechslung von Ilkay Gündogan.
Maximilian Mittelstädt: Im vergangenen Sommer stieg der Außenverteidiger mit Hertha BSC aus der Bundesliga ab. Der Höhenflug mit dem VfB Stuttgart beförderte ihn bis in die DFB-Auswahl. Gegen Holland schoss der 27-Jährige im zweiten Länderspiel ein wunderschönes Tor zum 1:1. «Herausragend», lobte Nagelsmann, der in ihm schon vorher das sah, was er dann zweimal im DFB-Trikot zeigte. «Wenn er so weitermacht, ist er ein Spieler für die EM», sagte der Bundestrainer. Wohlgemerkt für die erste Elf.
Neuer ist Gewinner der Woche
Die Startelf: Nagelsmann bot in beiden Testpartien die identische Mannschaft auf. Alle darin durften sich als Gewinner der Woche fühlen – nur einer nicht. Marc-André ter Stegen hielt zweimal gut. Trotzdem hatte Nagelsmann den verletzt abgereisten Konkurrenten Manuel Neuer, der heute 38 wird, schon vorher zum EM-Torwart ernannt. Und der Bundestrainer machte noch vor dem Frankreich-Spiel klar, dass diese Entscheidung steht. Darum ist Neuer trotz des verschobenen DFB-Comebacks ein Gewinner der Woche.
Alle, die jetzt zum Kader zählten, können zudem mehr denn je auf ihr EM-Ticket hoffen. «Außer Frage steht: Falls alle gesund bleiben und so weiter performen, werden wir auf jeden Fall nicht zehn Spieler tauschen im Sommer. Eigentlich auch nicht fünf, vielleicht ein, zwei – plus Verletzte», kündigte Nagelsmann an. Auf den gesperrten Leroy Sané will er aber nicht verzichten. Für einstige Fixkräfte wie Bayern-Profi Leon Goretzka oder mehrere Dortmunder wie Niklas Süle, Mats Hummels oder Julian Brandt sieht es im Sommer arg nach Urlaub aus.
Vor einer Woche noch im Krisenzustand
Der DFB: Nach drei enttäuschenden Turnieren (WM 2018, EM 2021, WM 2022) und großen wirtschaftlichen Problemen war der Verband vor einer Woche noch im Krisenzustand. Erst wurde der Ausrüsterwechsel von Adidas zu Nike vom Jahr 2027 angekündigt, der zwar von einigen deutschen Politikern gerügt wurde, der aber viele Millionen Euro in die leere DFB-Kasse bringt. Und plötzlich herrscht auch sportlich Zuversicht für das so wichtige Heimturnier.
Die Fans: Seit dem WM-Desaster in Russland gab es eine zunehmende Entfremdung zwischen Fans und Nationalelf. Länderspiele waren keine Festtage mehr, Turniere waren Frustveranstaltungen. Zwei Testspielsiege gegen zwei große Nationen, die Rückkehr von Kroos und die Fußball-Zaubereien der Jungstars Florian Wirtz und Jamal Musiala in neuen, bunten Trikots reichten aus, um die Stimmung zu kippen. Turnier-Veteran Thomas Müller brachte es nach dem Holland-Spiel mit dem späten Joker-Siegtor von Niclas Füllkrug auf den Punkt: «Die Leute haben Lust auf Fußball, aber halt auf erfolgreichen.»