Bundestrainer Christian Wück hat schon Momente von Fußball-Nationalspielerin Jule Brand in Länderspielen erlebt, «da habe ich bestimmt fünf Sekunden gebraucht, um sie auf dem Platz zu finden». Zwischen Weltklasse und vogelwild bewegt sich das einstige «Golden Girl» mitunter immer noch auf dem Rasen. Mit 22 Jahren und 66 Partien im DFB-Trikot geht Brand nun bereits in ihr viertes großes Turnier. Die große Frage: Schafft sie bei der EM in der Schweiz den Durchbruch? 

Genau das, erklärt Wück seine Aussage im dpa-Gespräch, sei es, was Brand auszeichne: «Dass sie manchmal verrückte Sachen macht, wo man denkt: Okay, das war jetzt gar nicht abgesprochen. Was macht sie denn jetzt? Wo läuft sie denn jetzt?»

Wück will Brand «nicht in ein Netz spannen»

Dribbelstark, so schnell wie wohl keine andere im deutschen Team, mit vielen Überraschungsmomenten, inzwischen auch immens fleißig im Rückwärtsgang – das sind die Qualitäten der gebürtigen Pfälzerin. Auf der anderen Seite: Zu oft noch will Brand noch mit dem Kopf durch die Wand, bleibt mit dem Ball hängen, trifft die falsche Entscheidung – und lässt die Torgefahr vermissen.

Er wolle mit seinen Co-Trainerinnen Saskia Bartusiak und Maren Meinert nie eine Spielerin verbiegen, betonte Wück, sondern ihren Charakter beibehalten: «Und wenn wir Jule zu eng in ein Netz spannen und ihr sagen würden: Du darfst das und du darfst das, aber das darfst du nicht – dann würden wir ja komplett ihre Stärke rauben.» 

Als Toptalent bereits früh ausgezeichnet

Auf ihre Qualitäten machte Brand international erstmals bei der EM 2022 in England aufmerksam. Die italienische Sportzeitung «Tuttosport» zeichnete sie danach als beste U21-Spielerin Europas 2022 aus. Im Jahr zuvor hatte sie vom DFB bereits die Fritz-Walter-Medaille in Gold erhalten.  

Doch die von einigen als «Jahrhunderttalent» beschriebene Fußballerin startete nach ihrem Wechsel von der TSG Hoffenheim zum VfL Wolfsburg nicht wie erwartet durch. Sie musste in den vergangenen drei Jahren im Verein immer mal wieder um einen Platz in der Startelf kämpfen. 

Mit den deutschen Frauen ging Brand bei der WM 2023 in Australien unter. Bei Olympia, als das Nationalteam unter Wück-Vorgänger Horst Hrubesch Bronze holte, sah man schon Veränderungen: Zielstrebiger und taktisch klüger trat sie auf. «Da ist immer noch viel Luft nach oben», sagte sie aber selbstkritisch.

Bei allen drei Turnieren stand Brand in jeder Partie auf dem Platz. Der Begriff Unterschiedsspielerin ist bei ihr keine Floskel. «Die EM 2022 war mein erstes Turnier. Ich war 19, ich wollte alles mitnehmen und war einfach nur happy, dass ich dabei sein konnte», sagt Brand vor dem EM-Turnier, in das die DFB-Frauen am 4. Juli gegen Polen starten. «Jetzt habe ich eine andere Rolle, ich habe mehr Erfahrung. Ich will dem Team helfen, dass wir diesen Titel holen – mit Toren, mit Assists.» 

Wagnis Ausland nach der EM

Wie auch immer die EM ausgeht für den deutschen Mitfavoriten: Für Brand beginnt nach dem Turnier ein neues Kapitel – bei Olympique Lyon. Beim französischen Serienmeister und Königsklassen-Rekordsieger hat sie einen Vertrag bis Mitte 2028 unterschrieben. 

«Jules Wechsel zu Olympique Lyon heißt auch, dass sie dort starke Konkurrenz hat und damit rechnen muss, nicht von Anfang an Stammspielerin zu sein», sagt Ex-Nationaltorhüterin und ARD-Expertin Almuth Schult. «Ich bin gespannt, wie sie sich dort entwickelt wird.» 

«Aus der Komfortzone heraus» 

Erstmals ins Ausland. Brand ahnt, das da etwas auf sie zukommt. «Aus der Komfortzone herauszugehen, eine neue Sprache, wirklich den Schritt auch alleine zu machen», so begründet sie ihren Wechsel. «Ich kenne keinen dort, ich habe sehr viel Respekt davor. Aber ich weiß einfach, dass ich das brauche.» 

Auch wenn’s schwierig wird – «daraus lerne ich am meisten. Ich möchte mich dort durchsetzen. Da muss ich jedes Spiel, jedes Training da sein und kann ich mir keine großen Schwankungen leisten.»  

Insidertipps von Sara Däbritz

Bei ihrer DFB-Kollegin Sara Däbritz, die von Lyon zu Real Madrid wechselt, hat sich Brand natürlich über ihren neuen Club erkundigt. Zum Französisch-Lernen hat sie sich eine App aufs Handy geladen. Wie’s läuft? «Direkt als ich unterschrieben habe, war ich sehr fleißig. Dann habe ich es ein bisschen auf Eis gelegt», sagt sie in der EM-Vorbereitung in Herzogenaurach. 

Ob sie schon eine Wohnung in Lyon hat? Brand verzieht das Gesicht: «Bitte nicht weiter dazu fragen! Das stresst mich nur. Es ist auf jeden Fall ein bisschen schwieriger als in Wolfsburg.»