Wenn Leroy Sané auch sportlich so schillernde Auftritte hinlegt wie vor dem Ritz Carlton in Wolfsburg, ist ihm ein Platz im WM-Kader von Julian Nagelsmann trotz der Knallhart-Ansage des Bundestrainers sicher. Modisch kommt an ihn keiner ran. In Zwei-Drittel-Hose und mit Gucci-Handtasche schlenderte der Offensivspieler nach seiner Zwangspause ins Teamhotel der Fußball-Nationalmannschaft.
Sané lächelte und murmelte noch ein schnelles «Thank You» in die Kamera. Seine Serie an modischen Extravaganzen setzte der 29-Jährige damit fort. Ebenfalls in Wolfsburg hatte er 2019 mit einer bunt bemalten Flausch-Jacke im Eisbären-Stil viele Kommentare provoziert.
Nationalspieler auf Bewährung
Diesmal folgte auf den Mode-Akzent eine nicht verklausulierte Forderung von Nagelsmann, die deutlich machte, dass Schnickschnack oder Accessoires keine Relevanz haben. Jetzt zählen nur noch sportliche Themen. Sané ist nur auf Bewährung zurück beim DFB-Team.
«Wenn wir auf der Position sechs, sieben Spieler zur Auswahl hätten, dann hätte er es deutlich schwerer», sagte Nagelsmann. Der Bundestrainer setzte im Basta-Stil fort: «Leroy weiß, was gefragt ist und er weiß auch, dass es nicht mehr unzählige, viele Chancen gibt, sich auf der Nationalmannschaftsebene, zumindest unter meiner Führung, zu beweisen.»
Die finalen WM-Qualifikationsspiele in Luxemburg am Freitag (20.45 Uhr/RTL) und gegen die Slowakei am folgenden Montag (20.45 Uhr/ZDF) in Leipzig werden für Sané auch zu einer persönlichen Entscheidung um das WM-Ticket.
Nagelsmann als Denkzettel-Diplomat
Die Worte des Bundestrainers klingen hart. Sie passen aber zu seinem Führungsstil. Der 38-Jährige trifft nicht nur konsequente Entscheidungen. Er erklärt sie auch schonungslos und öffentlich. Nagelsmann operiert mit einer Art Denkzettel-Diplomatie. Seine DFB-Vorgänger Joachim Löw und Hansi Flick zeigten mehr Spielertreue.
Das Prinzip Hire-and-Fire mussten auch schon andere Profis ertragen. Mats Hummels wurde von Nagelsmann bei dessen DFB-Dienstantritt vor zwei Jahren als Stabilisator zurückgeholt und nach nur zwei Einsätzen wieder aussortiert. Leon Goretzka bekam eine schmerzhafte Auszeit zur Heim-EM 2024 auferlegt.
Jonathan Burkardt wurde nach ersten Trainingseindrücken im März öffentlich getadelt und ist jetzt als Sturm-Backup für Nick Woltemade zurück. Andere, wie Marvin Ducksch, Kevin Behrens oder jüngst Nnamdi Collins wurden einmal nominiert und kamen nicht wieder.
Sammer moniert zu viele Reizpunkte
Der Umgang mit Sané konnte nicht dazu beitragen, den aktuellen Zick-Zack-Vorwurf gegen den Bundestrainer im WM-Vorjahr zu entkräften. Matthias Sammer verpackte seine jüngste Generalkritik in einer Art alt-väterlichen Rat. Nagelsmann solle generell weniger «Reizpunkte» setzen, sagte er bei Sky.
Lothar Matthäus hätte Sané «nie außen vor gelassen. Als Trainer muss ich dem Spieler das Vertrauen geben. Nur weil man in die Türkei wechselt, ist man doch kein schlechterer Spieler», sagte er ebenfalls bei Sky.
Bei der Demission im August hatte der Bundestrainer von Sané deutlich eine Leistungssteigerung bei Galatasaray Istanbul gefordert, dass er den Abschied vom FC Bayern nicht nachvollziehen konnte, gab er dabei klar zu verstehen.
Mangelnde Alternativen
Dieser Formnachweis sei zwar nach drei Liga-Toren «noch nicht zu 100 Prozent» vollbracht, aber derzeit fehlen Nagelsmann die Alternativen an schnellen Außenbahnspielern. «Aber er hat da schon auch noch Schritte zu gehen, dass es noch besser wird, hier und auch im Verein», sagte Nagelsmann.
Sané hatte sich nach der verordneten Auszeit immer diplomatisch geäußert. Die offene und gute Kommunikation mit Nagelsmann gelobt, mit dem er auch schon in der gemeinsamen Bayern-Zeit seine Erfahrungen machte. Natürlich versichert er, dass die WM das Ziel bleibe. Es ist die vielleicht letzte Chance, bei einem großen Turnier zu glänzen.
Für die WM 2018 wurde er von Löw überraschend nicht berücksichtigt, 2022 war er in Katar angeschlagen. Bei der EM 2016 war er noch Rookie, 2021 hinterließ er keinen bleibenden Eindruck und 2024 konnte er Nagelsmanns Vertrauen im Viertelfinale gegen Spanien überhaupt nicht rechtfertigen, wurde zur Halbzeit gegen Florian Wirtz ausgewechselt.
Kein Schrei nach Liebe
Sich anzubiedern, der öffentlichen Meinung zu folgen, war noch nie Sanés Ding. «Ich bin keiner, der sagt: Schenkt mir ein bisschen mehr Liebe», sagte er dem «Kicker». So wirkt das Kapitel Sané und Nationalmannschaft wie ein dauerhafter Versuch, zwei Puzzleteile endlich einmal zusammenzufügen.
Keiner im jetzigen Kader ist so lange dabei wie Sané, der im von der Pariser Terrornacht überschatteten Test gegen Frankreich vor zehn Jahren debütierte. 70 Länderspiele hat er seither bestritten. Nur Joshua Kimmich (105) hat im aktuellen Aufgebot mehr DFB-Einsätze.
Der Ruf, sein außerordentliches Potenzial nicht abzurufen, prägt praktisch seine ganze Karriere. Schlampiges Genie, ewiger Lausbub. Ein wandelnder Provokateur mit guter Laune. Das sind die Etiketten, die dem bei den Kollegen hochgeschätzten Profi anhaften. In der Arbeiterstadt Wolfsburg muss er jetzt Gegenbeweise erbringen und Nagelsmann überzeugen.
