Dieser Protest vereint sogar Fußball-Fans, die sich eigentlich spinnefeind sind. Anhänger von Schalke 04 und Borussia Dortmund, des FC St. Pauli oder des Hamburger SV: Sie alle treten seit Wochen gegen mögliche Maßnahmen beim Thema Stadionsicherheit ein, die von diesem Mittwoch an bei der dreitägigen Herbsttagung der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern (IMK) in Bremen diskutiert werden sollen.

Doch worum geht es konkret, wenn die Fans in den Bundesliga-Stadien wie zuletzt in den ersten Spielminuten schweigen oder Plakate hochhalten, auf denen steht: «Populismus stoppen!»? Und ist sich auch die Politik bei diesem Thema so einig, wie es die Fußball-Anhänger sind?

Das ist der Hintergrund

Im Oktober 2024 gab es ein Treffen zwischen Vertretern der Sportministerkonferenz und der Fußball-Verbände. Das endete mit dem klaren Auftrag der Politik, die Sicherheit in den Stadien zu erhöhen. Dafür zuständig: eine «Bund-Länder-offene-Arbeitsgruppe» (BLoAG) mit Vertretern der Politik, der Deutschen Fußball Liga, des Deutschen Fußball-Bunds und der Koordinationsstelle Fanprojekte. Ihre bisherigen Ergebnisse sollen nun bei der IMK diskutiert werden.

Der Protest der Fans entzündet sich vor allem an drei Punkten, deren Umsetzung allerdings teilweise schon wieder vom Tisch ist:

– Die Einführung einer zentralen Stadionverbotskommission. Diskutiert wird auch, Stadionverbote von mindestens drei Monaten schon dann auszusprechen, wenn gegen den Fußball-Fan nur ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.

– Die Einführung von personalisierten Tickets inklusive Überprüfung der Identität am Stadioneingang.

– Ein strikteres Vorgehen gegen Pyrotechnik im Stadion.

Das sagen die Fans

Nach den großen Protesten vor und in den Stadien hat die Fan-Organisation «Unsere Kurve e.V.» pünktlich zum Start der Innenministerkonferenz noch einmal nachgelegt. Sie wirft der Politik vor, das Thema Sicherheit beim Stadionbesuch zu verzerren und zu dramatisieren.

«Glaubt man den Innenminister*innen der Länder und sieht man die sensationsheischenden und einseitigen Bilder in den Medien, gibt es in den Stadien mehr Probleme als alles andere. Ein grobes Bild ohne Schärfe», heißt es in einer Stellungnahme. «Die Politik verallgemeinert, weil die Expertise fehlt.»

Viele Vereine stellen sich hinter ihre Anhänger. «Rechtsstaatlichkeit gilt auch für Fußball-Fans», sagt Luise Gottberg, die Vizepräsidentin des FC St. Pauli.

Unterstützung erhält der Protest auch von jemandem, der im Fußball und in der Politik zu Hause ist. «Das Stadionerlebnis muss erhalten bleiben», sagt der designierte BSW-Generalsekretär und langjährige Union-Berlin-Manager Oliver Ruhnert. 

Das sagt die Politik

Die Innenminister sind sich weitgehend darüber einig, dass Funktionäre und Vereine zu wenig gegen Gewalt und Pyrotechnik beim Fußball tun. In einem Beschlussvorschlag des Landes Niedersachsen für die IMK steht, «dass die Vereine und Verbände mit Blick auf die Störungen bei Fußballbegegnungen in der aktuellen Saison ihrer Aufgabe, in den Stadien für die Sicherheit zu sorgen, weiterhin nicht mit dem ausreichenden Nachdruck nachkommen».

Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) tritt schon länger für eine Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen ein. Sie erwarte, dass «die Fanszenen sich mit der Tatsache befassen, dass es landauf und landab leider eine Reihe von Risikospielen gibt, die ohne ein massives Polizeiaufgebot nicht stattfinden können», sagte Behrens der «Neuen Osnabrücker Zeitung».

Die Personalisierung der Eintrittskarten zum Beispiel hat aus Sicht der Befürworter gleich mehrere Vorteile: Sie würde Fußball-Fans mit Stadionverbot den Zugang erschweren. Und sie würde die Aufklärung erleichtern, wenn es um Vorfälle mit Pyrotechnik oder die überteuerten Weiterverkäufe von Tickets geht.

Das sagen die Zahlen

In dem aktuellen Streit ziehen Politik und Fanvertreter sogar unterschiedliche Schlüsse aus ein- und derselben Studie.

Im Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze der Polizei (ZIS) steht, dass bei Spielen in den ersten drei Ligen in der Saison 2024/25 deutlich weniger Menschen verletzt wurden (1.107) als in der Spielzeit davor (1.338). Das ist ein Rückgang um mehr als 17 Prozent, den der Dachverband der Fanhilfen so kommentiert: «Die Stadien sind sichere Orte.»

Die ZIS ermittelte aber auch, dass die Anzahl der Pyrotechnik-Verstöße um 73 Prozent gestiegen seien. Das liefert wiederum der Politik ein Argument, strikter gegen dieses Abbrennen vorzugehen.

So könnte es weitergehen

Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) plädiert dafür, Maßnahmen zu Stadionverboten schon jetzt zu beschließen und offene Fragen später weiterzuverhandeln. Konkret hätte man sich mit DFB und DFL darauf verständigt, dass Stadionverbote weiter auf Vereinsebene ausgesprochen werden sollen – jedoch nach bundeseinheitlichen Regeln und mit einer zentralen Kommission zur Aufsicht beim DFB. 

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann spricht im Zusammenhang der Fanproteste von einer «Gespensterdiskussion. Es werden angeblich geplante Maßnahmen kritisiert und Ängste geschürt, die auf der bevorstehenden Innenministerkonferenz in Bremen gar nicht zur Debatte stehen», sagte der CSU-Politiker.

Innerhalb der Politik herrscht keinesfalls Einigkeit, wie weit die Verschärfung gehen und was wann beschlossen werden soll. Der «Kicker» berichtet zudem, dass es DFB und DFL geschafft hätten, einige Forderungen zu entschärfen. Die zentrale Stadionverbotskommission ist dafür ein Beispiel.

Die Innenminister haben jedoch immer noch Druckmittel für den Fußball in der Hand. Zum Beispiel die Möglichkeit, Rechnungen für die zusätzlichen Polizeikosten bei Hochsicherheitsspielen auszustellen. «Wenn wir uns nicht bewegen oder keinen Schritt in irgendeiner Form machen, besteht durchaus die Gefahr, dass wir durch behördliche Maßnahmen zu Dingen gezwungen werden, die wir als DFB und DFL nicht wollen», sagte DFB-Präsident Bernd Neuendorf.